26 Das Denishhe Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar.)
Am 22. Januar polemisiert Abg. Bebel (Soz.) gegen die Marine-
politik und die kaiserlichen Reden gegen die Sozialdemokratie, worauf der
Reichskanzler antwortet. Am 23. Januar kritisiert Abg. Oertel (Bd. d.
Ldw.) die angekündigten Maßregeln über die Sicherung des Wahlgeheim-
nisses, die er als „Klosettgesetz“ charakterisiert. Abg. Stöcker (kons.) be-
dauert, daß Theologieprofessoren, die jede Offenbarung leugnen, an höchster
Selle Rrregiert werden. — Hierauf wird der Etat der Budgetkommission
überwiesen.
Januar. Die Presse über den Konflikt zwischen dem Reichs-
tagspräsidenten und Abg. v. Vollmar.
Die Presse aller Parteien bedauert, daß Graf Ballestrem dem Abg.
v. Vollmar verboten habe, den Fall Krupp zu besprechen. Häufig wird
ausgeführt, daß er in der besten Absicht gehandelt habe, um Ausschrei-
tungen gegen den Kaiser zu verhüten, aber es wird betont, daß er der
Sozialdemokratie hierdurch einen vortrefflichen Agitationsstoff geliefert habe.
Die „Kreuzzeitung" schreibt: „Wir müssen doch der Auffassung Ausdruck
geben, daß Graf Ballestrem durch das gegen den Abg. v. Vollmar gerichtete
Verbot sich in Widerspruch gesetzt hat mit den Grundsätzen, die er früher
aufgestellt hatte. Auch der Versuch, diesen Widerspruch durch Hervor-
kehrung neuer Unterschiede bei kaiserlichen Kundgebungen zu lösen, scheint
uns nicht geglückt.
Der „Vorwärts" veröffentlicht folgende Erklärung der sozialdemo-
kratischen Fraktion: „In der heutigen Sitzung des deutschen Reichstages
ist durch den ersten Präsidenten Herrn Grafen v. Ballestrem ein die durch
die Verfassung garantierte Redefreiheit der Abgeordneten vernichtender
Gewaltakt verübt worden, gegen den wir im Namen und Auftrag der
sozialdemokratischen Fraktion hiermit öffentlich Protest erheben, nachdem
der Redner, Parteigenosse v. Vollmar, vergeblich versucht hat, in der Sitzung
sein Recht zu wahren. v. Vollmar beabsichtigte, im Laufe seiner Etatsrede
die verletzenden Aeußerungen zur Sprache zu bringen, die der Kaiser in
seinen bekannten Reden in Essen und Breslau im Dezember vorigen Jahres
gegen die deutsche Sozialdemokratie geschleudert hat. Das zu tun hatte
Vollmar nach den bisherigen durch den Präsidenten Herrn Grafen v. Bal-
lestrem selbst im Reichstage eingeführten Regeln volles Recht. Der Prä-
sident, Herr Graf v. Ballestrem, hat in den Sitzungen des Reichstages vom
21. Januar 1899, ferner vom 31. Juli 1899 und endlich vom 12. Dezember
1899 ausdrücklich erklärt, daß er eine Besprechung kaiserlicher Reden in
angemessener Weise, sobald sie authentisch, z. B. durch den Reichs--Anzeiger,
bekannt geworden seien, zulassen werde. Obwohl nun die Reden in Essen
und in Breslau im Reichs--Anzeiger veröffentlicht worden sind, und ob-
wohl Vollmar auf Einwendungen des Präsidenten ausdrücklich erklärt hatte,
er werde den Fall Krupp, mit dem jene Reden in Verbindung stehen, mit
keinem Worte erwähnen, sondern sich ausschließlich auf die Kritik der gegen
die sozialdemokratische Partei gerichteten Beschuldigungen des Kaisers be-
schränken, so ließ der Präsident diese Kritik nicht zu. Dieser Willkürakt
des Präsidenten Grafen v. Ballestrem ist um so unerhörter, als er es in
der Ordnung fand, daß sowohl in der gestrigen als in der heutigen Sitzung
des Reichstages das Swinemünder Telegramm des Kaisers an den Prinz-
regenten von Bayern, das im Reichs-Anzeiger nicht veröffentlicht worden
ist, in der gründlichsten Weise erörtert wurde, insbesondere auch durch den
Zentrumsabgeordneten Dr. Schädler. Da die Geschäftsordnung des Reichs-
tages keinen Weg bietet, diesen nur bei Kenntnis der Geheimgeschichte des
Falles Krupp verständlichen Gewaltakt des Präsidenten, Herrn Grafen