332 Nußland. (Februar 25.)
Reformen aufgetragen mit der Anweisung, die Pforte auf das dringende
Bedürfnis der schnellsten Anwendung derselben hinzuweisen zur gründlichen
Beseitigung der Ursachen der Unzufriedenheit ihrer Untertanen. Eine
Mitteilung gleichen Inhaltes erhielt auch der türkische Gesandte Turkhan
Pascha, der den Kaiser in Livadia begrüßte. Die türkische Regierung er-
klärte sich bereit, die freundschaftlichen Ratschläge zu befolgen. Das im
November 1902 veröffentlichte Reform-Irade enthält aber keine genügenden
Garantien für die Verbesserung der Lage der Christen und diente daher
auch nicht zur vollständigen Beruhigung. Trotz der den Balkanstaaten
erteilten Ratschläge dauerte die Agitation des Revolutionskomitees zur Auf-
hetzung der Bevölkerung gegen die Pforte fort. Angesichts dieser äußerst
beunruhigenden Lage beauftragte der Kaiser den Minister des Aeußern
Anfang November Belgrad und Sofia zu besuchen und dort im Namen
des Kaisers eine Mitteilung folgenden Inhalts zu machen: „Nach wie
vor sind Rußlands Bemühungen darauf gerichtet, die Pforte zur schnellsten
Durchführung von Reformen in den drei europäischen Vilajets zu bewegen.
Es ist daher unerläßlich, daß die slavischen Staaten ernstlich alle nur mög-
lichen Maßnahmen für die Wahrung der Ruhe auf dem Balkan treffen
und den revolutionären Absichten Widerstand entgegensetzen. Nur so können
sie auf Rußland rechnen.“ Der König von Serbien und der Fürst von
Bulgarien beeilten sich, dem Grafen Lamsdorff zu versichern, daß ihre
Regierungen bemüht seien, die fernere Agitation zu unterdrücken. Sie
würden die Resultate des Wirkens Rußlands für die Christen abwarten.
Nachdem diese Versprechungen erfüllt worden waren, hat die keiserliche
Regierung der bulgarischen Regierung für die in der letzten Zeit ergriffenen
Maßnahmen ihre volle Billigung ausgesprochen. Graf Lamsdorff reiste
von Belgrad nach Wien, wo zwischen den beiderseitigen Ministern des
Auswärtigen gemäß dem Abkommen von 1897 besondere Beratungen statt-
fanden. Dieselben endigten mit der Feststellung der Hauptgrundlagen der
für die drei Vilajets geplanten Reformen. Anfang Januar wurde das
Programm den Botschaftern Rußlands und Oesterreich-Ungarns in Kon-
stantinopel mitgeteilt. Nach Beratung der lokalen Verhältnisse sollten sie
ein ausführlicheres Reformprojekt für die drei Vilajets ausarbeiten. Dieses
wurde nach seiner Genehmigung durch die beiden Regierungen am 17. d. M.
den Signatarmächten vertraulich mitgeteilt mit dem Ersuchen, im Falle
der Billigung. Rußland und Oesterreich-Ungarn bei der Pforte zu unter-
stützen. Frankreich, Italien, Deutschland und England drückten ihre Bereit-
willigkeit dazu aus. Nun wurden die Botschafter von Rußland und
Oesterreich-Ungarn beauftragt, das Reformprojekt dem Sultan vorzulegen.
Nach einer zusammenfassenden Darstellung der Reformvorschläge heißt es
in dem Communiqué weiter: Diese Maßnahmen, welche eine ausgestaltende
Entwicklung in der Zukunft finden können, scheinen in genügender Weise
eine wesentliche Besserung des Lebens der Christen zu sichern. Außerdem
soll in einigen Gegenden unter Leitung des Botschafters in Konstantinopel
eine sorgfältige Kontrolle durch die Konsuln über die Anwendung der Re-
formen ausgeübt werden. Indem die kaiserliche Regierung die Vertreter
Rußlands auf der Balkanhalbinsel von den erzielten Resultaten benach-
richtigte, hat sie es für nötig befunden, zur möglichst weiten Informierung
aller slavischen Stämme den Vertretern Rußlands abermals die in diesen
Fällen leitenden Grundsätze einzuschärfen. Die durch die Opfer Rußlands
zu einem selbstängigen Leben berufenen Balkanstaaten dürfen zuversichtlich
auf die beständige Fürsorge der kaiserlichen Regierung für ihre tatsäch-
lichen Bedürfnisse und auf den mächtigen Schutz der geistigen und materiellen
Interessen der Christen rechnen: sie dürfen dabei aber auch nicht aus dem