336 Rußland. (April 16.—20.)
16. April. (Finnland.) Ausnahmemaßregeln zur Aufrecht-
erhaltung der Ordnung.
Durch eine Verordnung wird dem Generalgouverneur die Befugnis
erteilt, für bestimmte Zeit die Schließung von Gasthäusern, Buchhandlungen,
anderen Geschäften und industriellen Etablissements zu verordnen, private
Sitzungen jeder Art zu verbieten, private Vereine aufzulösen und den
Personen, die der Generalgouverneur für bie staatliche Ordnung und öffent-
liche Ruhe als gefährlich betrachtet, den Aufenthalt in Finnland zu ver-
bieten. Letztere Maßregel kann jedoch vom Generalgouverneur nur mit
Allerhöchster Zustimmung getroffen werden, ausgenommen in Fällen, die
unaufschiebbar sind. Den hiervon betroffenen Personen kann sodann der
Aufenthalt in gewissen Orten innerhalb des Kaiserreiches angewiesen werden.
Die Verordnung hat drei Jahre Gültigkeit.
19. 20. April. (Kischinew.) Große Judenverfolgung.
In Kischinewm und Umgebung werden zahlreiche Juden niederge-
metzelt. Die Polizei ist machtlos. Gegen die russische Regierung wird
vielfach der Vorwurf erhoben, daß sie von den geplanten Metzeleien Kenntnis
gehabt, aber Vorsichtsmaßregeln unterlassen habe, um durch die Verfolgung
einen Schlag gegen die zahlreichen jüdischen Revolutionäre zu führen. Die
Regierung bestreitet diese Behauptung. Der Generalgouverneur von Kischi-
new und mehrere Unterbeamte werden entlassen, weil sie nicht zeitig ge-
nug für militärische Hilfe gesorgt haben.
Der Minister des Innern veröffentlicht folgende Darstellung: Bei
den Unruhen, deren Urheber vorzugsweise einfache Leute waren, sind
45 Personen getötet worden oder ihren Wunden erlegen, 74 wurden schwer,
gegen 350 leichter verletzt, gegen 700 Juden gehörige Häuser und 600
Geschäftslokale wurden geplündert. Die Untersuchung ergab, daß die Un-
ruhen durch das zugespitzte Verhältnis zwischen den Christen und Juden
Bessarabiens hervorgerufen waren. Irgend ein albernes Gerücht konnte
unter solchen Umständen einen Ausbruch der Volksleidenschaften herbei-
führen. Das tat denn auch die falsche Anschuldigung, die Juden hätten
in Dubossary im benachbarten Gouvernement Cherson, in Kiew und in
Kischinewm Ritualmorde verübt. Dadurch entstand Ende März unter den
Arbeitern und dem einfachen Volke in Kischinew das Gerede, es müsse
gegen die Juden vorgegangen werden. Geschriebene Aufrufe, über die
Juden herzufallen, wurden verbreitet; aber die Volksstimmung am Oster-
sonntag verriet noch nichts Außergewöhnliches. Auf dem Platze für Volks-
belustigungen war alles ruhig, bis nachmittags gegen 4 Uhr ein jüdischer
Karussellbesitzer eine Christenfrau derartig stieß und schlug, daß ihr Kind
ihren Händen entfiel. Dies war der direkte Anlaß zur Judenhetze. So-
fort flogen Steine gegen die Fenster benachbarter Judenhäuser, die Un-
ruhen pflanzten sich in die umliegenden Straßen fort, und die Menge
durchzog dann verschiedene Stadtteile, überall die jüdischen Häuser und
Verkaufsbuden zerstörend. Hierauf begannen andere Trupps es zu plün-
dern. Die Ausschreitungen konnten nicht sofort unterdrückt werden, weil
sie sich schnell ausbreiteten. Schon am Abend des Ostersonntags zählte
man drei getötete Juden. Um 10 Uhr hörten die Ausschreitungen auf.
Am nächsten Morgen überfiel ein mit Stöcken bewaffneter Haufe von
Juden auf dem neuen Basar die anwesenden Christen. Die Prügelei hörte
aber bald auf. während am anderen Ende des Basars der gleiche Ueber-
fall sich wiederholte. Aus der Mitte der jüdischen Angreifer ertönte ein
Schuß, der einen Christen verwundete. Nun erneuerten sich die Unruhen