Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

358 Lerbien. (Februar 4.—Juni 1.) 
politischen Ereignisse ruhig und zuversichtlich entgegensehen. Serbien kann 
ruhig in die Zukunft blicken, weil seine und des serbischen Volkes Sache 
eine gerechte Sache ist. Wir haben keine Eile und können daher nach wie 
vor ein Element des Friedens und der Ordnung auf dem Balkan bilden. 
Eben deshalb muß uns aber der entscheidende Augenblick vollkommen ge- 
rüstet antreffen. Alle Welt muß die Ueberzeugung erlangen, daß niemand 
auf dem Balkan auch nur einen Fußbreit erwerben kann, ohne daß auch 
Serbien seinen Anteil erhielte. 
4. Februar. (Belgrad.) Durch einen Erlaß des Ministers 
für öffentliche Bauten werden 804 neu eingerichtete Postämter in 
großen und 3390 Postämter in kleinen Dorfgemeinden dem Ver- 
kehr übergeben. 
6. April. Suspendierung und Wiederherstellung der Ver- 
fassung. 
Der König erläßt eine Proklamation, die mitteilt, daß der auf 
Grund der neuen Verfassung geschaffene Senat und die Skupschtina Ge- 
setze geschaffen haben, die sich als unzweckmäßig erwiesen haben. Die Ver- 
fassung schädige durch die Entfachung politischer Leidenschaften die Inter- 
essen des Vaterlandes, und hindere seine staatliche und nationale Entwicke- 
lung. Die Verhältnisse auf dem Balkan seien sehr ernst. Serbien bedürfe 
der Ordnung, der Eintracht und des Friedens. Es solle als ein leuchtendes 
Beispiel der Friedensliebe gelten und dabei stets bereit sein, die eigenen 
wahren Interessen zu verfechten, falls dies sich als notwendig erweisen 
sollte. Um dem Vaterlande die Eintracht, Kraft und Ordnung wieder zu 
geben, suspendiere der König die Verfassung vom 6. April 1901 und er- 
kläre die Mandate der Senatoren für ungültig. Die Proklamation besagt 
ferner, daß die Staatsräte zur Disposition gestellt werden und daß die 
Skupschtina aufgelöst wird. Mehrere Gesetze, darunter das Preßgesetz, das 
Gemeindegesetz und das Nationalwahlgesetz werden ausgehoben und durch 
die entsprechenden früheren Gesetze ersetzt. Unmittelbar nach der Ausfer- 
tigung der Verordnungen, durch welche die neuen Senatoren und Staats- 
räte ernannt wurden, erscheint eine zweite Proklamation, in welcher die 
Verfassung vom 6. April 1901 wieder zu voller Geltung eingesetzt wird. 
Das bisherige Ministerium bleibt im Amte, nur der Minister des 
Auswärtigen Loganitsch wird durch den Bautenminister Denitsch ersetzt. 
Von den neuernannten lebenslänglichen Mitgliedern des Senats sind zwölf 
Altliberale (durchwegs Anhänger des ehemaligen Regenten Jovan Ristitsch), 
sieben ehemalige Fortschrittler und fünf Neutrale. Von den Radikalen 
wird keiner ernannt. 
April. Gerüchten zufolge beabsichtigt der König einen Bruder 
seiner Gemahlin zum Thronfolger zu ernennen. Es wird von der 
Möglichkeit einer baldigen Revolution gesprochen, da die Familie 
Dragas im Heere sehr verhaßt sei. 
1. Juni. Wahlen zur Skupschtina. 
Es werden gewählt 130 Abgeordnete, davon sind 71 Liberale, 30 Ra- 
dikale und 29 Neutrale oder ehemalige Fortschrittler. Die Gewählten sind 
sämtlich regierungsfreundlich. Von 216 870 Stimmberechtigten stimmten 
185 905, davon für die Listen der Regierung 182 583, für die Listen der 
Opposition 3322. Bei den letzten Wahlen, die 1901 unter dem radikalen
	        
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