32 Das Venische Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar.)
man müsse sich vorsehen, bei einem großen allgemeinen Publikum auch nur
„Terminologiepagoden“ entzwei zu machen. Es ist dem vortrefflichen Pro-
fessor in seinem Eifer der Grundsatz etwas entgangen, daß es gar sehr
wichtig ist, genau zu unterscheiden zwischen dem, was angemessen ist, dem
Ort, Publikum u. s. w., und was nicht. Als Theologe von Fach kann er für
seinen Kollegenkreis Thesen, Hypothesen und Theorien sowie Ueberzeugungen
aussprechen in Fachschriften, welche nicht angängig auszusprechen sein
würden in einem populären Vortrag oder Buch.
Ich möchte nun noch einmal auf Meinen persönlichen Standpunkt
bezüglich der Offenbarungslehre oder - Anschauung zurückkommen, wie Ich
ihn Ihnen, mein lieber Hollmann, und andern Herren auch des öftern
schon auseinandergesetzt habe. Ich unterscheide zwei verschiedene Arten
der Offenbarung: eine fortlaufende, gewissermaßen historische und eine rein
religiöse, auf die spätere Erscheinung des Messias vorbereitende Offenbarung.
Zur ersten ist zu sagen: Es ist für Mich keinem, auch nicht dem leisesten
Zweifel unterworfen, daß Gott sich immerdar in Seinem von Ihm ge-
schaffenen Menschengeschlecht andauernd offenbart. Er hat dem Menschen
„Seinen Odem eingeblasen“, d. h. ein Stück von sich selbst, eine Seele ge-
eben. Mit Vaterliebe und Interesse verfolgt er die Entwickelung des
enschengeschlechts; um es weiter zu führen und zu fördern, „offenbart"
Er sich bald in diesem oder jenem großen Weisen, oder Priester oder König,
sei es bei den Heiden, Juden oder Christen. Hammurabi war einer,
Moses, Abraham, Homer, Karl der Große, Luther, Shakespeare, Goethe,
Kant, Kaiser Wilhelm der Große. — Die hat Er ausgesucht und Seiner
Gnade gewürdigt, für ihre Völker auf dem geistigen wie physischen Gebiet
nach Seinem Willen Herrliches, Unvergängliches zu leisten. Wie oft hat
Mein Großpater dieses nicht ausdrücklich betont, er sei ein Instrument nur
in des Herrn Hand. Die Werke der großen Geister sind von Gott den
Völkern geschenkt, damit sie an ihnen sich fortbilden, weiterfühlen können
durch das Verworrene des noch Unerforschten hienieden. Gewiß hat Gott
der Stellung und Kulturstufe der Völker entsprechend den verschiedenen
sich verschieden „geoffenbart“ und tut das auch noch heute. Denn so wie
wir am meisten durch die Größe und Gewalt der herrlichen Natur der
Schöpfung überwältigt werden, wenn wir sie betrachten, und über die in
ihr offenbarte Größe Gottes bei ihrer Betrachtung staunen, ebenso sicherlich
können wir bei jedem wahrhaft Großen und Herrlichen, was ein Mensch
oder ein Volk tut, die Herrlichkeit der Offenbarung Gottes darinnen mit
Dank bewundernd erkennen. Er wirkt unmittelbar auf und unter uns ein!
Die zweite Art der Offenbarung, die mehr religiöse, ist die, welche zur
Erscheinung des Herrn führt. Von Abraham an wird sie eingeleitet, lang-
sam, aber vorausschauend, allweise und allwissend, denn die Menschheit
war sonst verloren. Und nun beginnt das staunenswerteste Wirken, Gottes
Offenbarung. Der Stamm Abrahams und das sich daraus entwickelnde
Volk betrachten als Heiligstes mit eiserner Konsequenz den Glauben an
einen Gott. Sie müssen ihn hegen und pflegen. — In der ägyptischen
Gefangenschaft zersplittert, werden die zerteilten Stücke von Moses zum
zweitenmal zusammengeschweißt, immer noch bestrebt, ihren „Monotheis-
mus“ festzuhalten. Es ist das direkte Eingreifen Gottes, das dieses Volk
wiedererstehen läßt. Und so geht es weiter durch die Jahrhunderte, bis
der Messias, der durch die Propheten und Psalmisten verkündet und an-
gezeigt wird, endlich erscheint. Die größte Offenbarung Gottes in der
Welt! Denn Er erschien im Sohne selbst; Christus ist Gott; Gott in
menschlicher Gestalt. Er erlöste uns, Er feuert uns an, es lockt uns, Ihm
zu folgen, wir fühlen Sein Feuer in uns brennen, Sein Mitleid uns stärken,