Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

404 Mebersicht der politischen Entwinelnn des Jahres 1903. 
Parteien gefunden (S. 84, 97). — Das Handelsprovisorium mit 
England ist auf zwei Jahre verlängert worden. 
Die innere Politik stand noch unter den Nachwirkungen 
des Kampfes um den Zolltarif. Die agrarisch gefinnte Rechte 
verlangte schleunigst Kündigung der Handelsverträge und neue 
Verhandlungen auf Grund des soeben beschlossenen Tarifs; jede 
Herabsetzung der landwirtschaftlichen Zölle perhorreszierte sie, selbst 
auf die Gefahr eines Zollkrieges, da ihr der beschlossene Zollschutz 
ohnehin kaum ausreichend erschien. Auf dieses Verlangen hat die 
Regierung stets ihren guten Willen, für die Landwirtschaft in den 
künftigen Handelsverträgen etwas zu erreichen, betont, aber im 
übrigen die agrarischen Forderungen kurz zurückgewiesen (S. 9, 89). 
— Legislatorische Ergebnisse von Bedeutung hat die Reichstags- 
session, die bald zu Ende ging, nicht mehr gebracht; die wichtigsten 
sind die Anderung der Seemannsordnung, die Beschränkung der 
gewerblichen Kinderarbeit und die Ergänzung der Krankenversiche- 
rung. Von den Verhandlungen über allgemeine Dinge find zweierlei 
hervorzuheben: die Debatte, die sich an die Swinemünder Depesche 
(1902) anschloß und eine Auseinandersetzung über die Persönlich- 
keit des Kaisers, sein Verhältnis zu den Bundesfürsten und obersten 
Reichsbeamten und seine sozialpolitischen Ansichten brachte (S. 13); 
ferner die Diskussion auswärtiger Fragen wie der Venezuelaange- 
legenheit, des Dreibundes, der Stellung der Deutschen in Ungarn. 
Die Gewandtheit und der Freimut, womit Graf Bülow diese Fragen 
behandelte, die Mitteilungen über einige wichtige Interna aus der 
Zeit Bismarcks (S. 65) und der Gegenwart sichern seinen Reden 
ein mehr als ephemeres Interesse und machen sie zu einem wich- 
tigen historischen Dokument. Die Burenfrage, die in früheren 
Jahren die deutschen Tagespolitiker so stark beschäftigt hat, ist 
nur noch vorübergehend im Reichstage berührt worden. Es scheint, 
daß die vulgäre Auffassung, die jede Burenangelegenheit fast als 
nationaldeutsche Sache betrachtete, zurücktritt und einer politischen 
Platz macht. 
Die Reichstagswahlen standen bei dem Fehlen einer 
großen unmittelbaren nationalen Aufgabe ausschließlich unter dem 
Zeichen des wirtschaftlichen Interessenkampfes. Die alten Schlag-
	        
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