Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 5. /10.) 171
so zu sprechen, wie er es schon zu wiederholten Malen getan hat. (Sehr
richtig.) Wie weit sein Einfluß in dieser Richtung reicht, weiß ich nicht
(Heiterkeit), trotz der ritterlichen Art, mit der er heute für ihn eingetreten
ist. Eins ist sicher, je mehr Sie gegen Rußland zu Felde ziehen, umso-
mehr muß ich mich bemühen, die Beziehungen zu Rußland in friedlichen
und freundlichen Bahnen zu halten. Angriffe, aus denen nicht die nötigen
Konsequenzen gezogen werden, Invektiven, aus denen diese Konsequenzen
nicht gezogen werden, sind immer von Uebel. Der andere wird dadurch
gereizt, und er selber blamiert sich, wenn den Worten keine Taten folgen.
Endlich ist der Abg. v. Vollmar auch noch zurückgekommen auf den Königs-
berger Prozeß. Ich habe schon gesagt, daß ich über den Königsberger
Prozeß nicht als Jurist, sondern als Politiker gesprochen hätte, und
da kann ich nur wiederholen — und alles, was der Abg. v. Vollmar
gesagt hat, ändert nichts an der von mir konstatierten Tatsache — daß
die Sozialdemokratie mit vollem Bewußtsein und mit allen ihr zur Ver-
fügung stehenden Mitteln gegen die russische Regierung arbeitet. Damit
aber schädigt sie das gute Verhältnis, in dem wir zu Rußland stehen.
Dieses Verhältnis in friedlichen Bahnen zu erhalten, muß die Aufgabe
unserer Politik sein. Ich habe mich gefreut, daß der Abg. v. Vollmar
soeben die nationale Note betonte, daß er für seine Partei den Patriotis-
mus reklamiert, daß er seiner Partei einen nationalen Mantel umgehängt
hat. Wenn der Abg. von Vollmar mit Beharrlichkeit, mit Zähigkeit auf
diesem Wege weiter fortschreitet, so kann er sich vielleicht noch zu einem
deutschen Jaureès entwickeln. (Große Heiterkeit.) Das ist mein aufrich-
tiger Wunsch. Vorläufig aber muß ich mit Bedauern konstatieren, daß
nur die deutsche Sozialdemokratie gegenüber Rußland eine so feindliche,
und ich muß hinzufügen ungeschickte Politik treibt. Nun hat sich der Abg.
v. Vollmar auch auf die dunklen Andeutungen bezogen, die der Abg. Bebel
gemacht hat, und die mir darauf hinauszukommen schienen, daß wir Ruß-
land gegenüber gebunden wären. Ich habe in dem offiziellen Organ der
sozialdemokratischen Partei dieselbe Behauptung gelesen, da heißt es: Das
Verhalten des Reichskanzlers Grafen Bülow im Reichstage gegenüber den
kurzen Andeutungen, die Genosse Bebel über den Königsberger Prozeß
gemacht hat, beweist zur Genüge, daß die gegenwärtige Regierung im
Russendienst völlig verstrickt ist. Es heißt dann weiter, nach einer Er-
klärung des früheren englischen Botschafters in Berlin, White, sei es sicher,
daß ein Geheimvertrag zwischen Deutschland und Rußland“ abgeschlossen
worden sei. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß ein solcher Vertrag in der
Tat existiere. Es sei skandalös, wie Deutschland Rußland gegenüber Sklaven-
dienste verrichte. Deutschland habe durch den Geheimvertrag Rußland eine
Waffe in die Hand gegeben. Nun, meine Herren, halten Sie mich für
einen so kolossalen Ochsen? Der Artikel beschäftigt sich dann mit dem
Verhalten der Freisinnigen Vereinigung. Was die Herren von der Frei-
sinnigen Vereinigung tun werden, weiß ich nicht. Was mich selbst betrifft,
so möchte ich das Nachstehende konstatieren: Was die Behauptung anbetrifft,
jene Bemerkung sei ausgegangen von dem langjährigen, früheren englischen
Botschafter in Berlin White, so hat es allerdings, glaube ich, einen eng-
lischen Botschafter gegeben, der White hieß, der aber war Botschafter in
Konstantinopel. Dann hat es auch einmal einen Botschafter in Berlin
gegeben, der White hieß, der war aber nicht englischer Botschafter, sondern
amerikanischer. Diese Behauptung steht auf der Höhe der Sachkenntnis in
der Pichelswerder-Angelegenheit. Ich kann nur sagen, daß ein solcher
Vertrag gar nicht existiert. Nun hat der Abgeordnete v. Vollmar auch
gemeint, die auswärtige Lage sei eine so friedliche, daß er nicht einsehe,