Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 9.) 47
Zwischen dem Evangelischen Bunde, der scharf gegen den Beschluß und
das Zentrum polemisiert, und der konservativen Partei kommt es zu
heftigen Auseinandersetzungen, weil der Evangelische Bund die Konservativen
für das Wachstum der Klerikalen verantwortlich macht.
9. März. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Minister
der öffentlichen Arbeiten Budde sagt über die Koalitionsfreiheit der
Eisenbahnarbeiter und die Beschäftigung von Sozialdemokraten:
Es existieren mindestens anderthalb Dutzend berufliche Koalitionen
in der Eisenbahnverwaltung, die alle zugelassen sind und die Beamte auf-
nehmen, denen unbedingt ein Koalitionsrecht auf diesem Gebiete nicht zu-
stehen würde. Das hat schon mein Amtsvorgänger getan, und ich habe
es bestehen lassen. Das Vorgehen gegen die sozialdemokratischen Koali-
tionen ist ja etwas anderes. Der preußische Beamte hat einen Eid ge-
leistet, treu dem König, dem Vaterlande und seinem Berufe zu dienen
(Beifall rechts), und der Arbeiter unterschreibt im Arbeitsvertrag, daß er
sich an ordnungsfeindlichen Bestrebungen nicht beteiligen darf. Sind die
sozialdemokratischen Bestrebungen ordnungsfeindlich? Da brauchen wir nur
den Dresdener Parteitag zu lesen, über den ich mich gefreut habe, weil er
Klarheit über die Situation für die bürgerlichen Parteien geschaffen hat.
Wir brauchen nur zu lesen, was täglich im „Vorwärts“ gebracht und was
darüber im anderen Hause täglich gesagt wird. (Zustimmung rechts.)
Danach ist die Sozialdemokratie vom Standpunkt unserer heutigen Staats-
organisation eine ordnungsfeindliche Partei. (Zustimmung rechts.) Wenn
ein Beamter dieser Partei angehört, sie täglich unterstützt, Beiträge an sie
bezahlt zum Zwecke, die heutige Staatsorganisation zu untergraben und
zu beseitigen, so ist selbstverständlich, daß ein solcher Mann nicht Dienst
bei der Staatsverwaltung finden kann oder daraus entlassen werden muß.
(Beifall rechts.) Ich habe deshalb zu meinem größten Bedauern 27 Ar-
beiter entlassen müssen. Die armen Leute tun mir leid, aber ich habe
genugsam gesagt: ich dulde nicht, daß einer sich sozialdemokratisch tätig
erweist. Hätte ich eine Entlassung verfügt, ohne das vorher gesagt zu
haben, so wäre ich wohl zu hart gewesen; aber ich habe es bei jeder Ge-
legenheit gesagt. So tragen die Schuld an den Entlassungen die Verführer,
die den armen Mann in die Partei gebracht haben. Ich mußte die Leute
entlassen, denn der Eisenbahner muß wissen, woran er ist; er verlangt von
mir, daß ich die Arbeitswilligen schütze, und wenn ich gestern die Treue
des Lokomotivpersonals erwähnt habe, so bin ich der Ansicht, daß im
großen Ganzen bis auf wenige verführte Ausnahmen die Beamten der
sozialdemokratischen Partei fernstehen. ... Der Abg. Legien hat am
30. Januar d. J. im Reichstag gesagt: Was würde es schaden, wenn ein-
mal ein paar Stunden der Eisenbahnbetrieb stillstände; in der Schweiz
seien dann in wenigen Stunden die Differenzen ausgeglichen gewesen; an
einem solchen Streik wären nicht die Arbeiter, sondern die Verwaltung
schuld, die sich mit den Arbeitern nicht zu verständigen verstehe. Welche
Leichtfertigkeit liegt darin! In jedem Streit heißt es: audiatur et altera
pars, und das Recht liegt in der Mitte, aber hier heißt es einfach: Die
Verwaltung ist schuld. Ich will nicht ausmalen, was bei einem Eisen-
bahnerstreik hier geschähe, wenn der Betrieb ein paar Stunden still stände.
Die Städte würden verhungern, das ganze Erwerbsleben stände still.
Wenn ein Eisenbahner in den Staatseisenbahndienst tritt, übernimmt er
damit die Verpflichtung, seine persönlichen Wünsche hinter das Gesamtwohl
des Staates zurückzustellen. Für die entlassenen 27 Arbeiter meldeten sich