Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 12./16.) 67 
straße zwischen Oder und Weichsel sowie der Schiffahrtstraße der Warthe 
von der Mündung der Netze bis Posen 21175000  Mark; 4. für die 
Kanalisierung der Oder von der Mündung der Glatzer Neiße bis Breslau 
sowie zu Versuchsbauten für die Strecke von Breslau bis Fürstenberg a. O. 
18950000  Mark. Zusammen 280275000  Mark.“ 
12./16. April. (Reichstag.) Etat. Englisch-französischer Ver- 
trag. Ostafiatischer Krieg. Südwestafrika. Handelsverträge. Ver- 
hältnis zu Rußland (vgl. S. 33). 
Abg. Sattler (nl.) fordert Aufklärung über die Verschiebungen in 
der auswärtigen Politik, besonders über den englisch-französischen Vertrag 
und den ostasiatischen Krieg. Reichskanzler Graf Bülow will sich über 
das englisch-französische Abkommen nicht näher aussprechen, da die be- 
teiligten Staaten sich noch nicht offiziell geäußert hätten. Er habe aber 
keinen Grund zu der Annahme, daß das Abkommen eine Spitze gegen eine 
dritte Macht habe. ... Was den Krieg in Ostasien angeht, so ist unsere 
Haltung gegenüber diesem Kriege eine sehr einfache. Nachdem es leider 
nicht gelungen ist, den Frieden aufrecht zu erhalten, tun wir, was uns 
möglich ist, damit aus dem Duell im fernen Osten sich kein Weltkrieg ent- 
wickelt. Das ist ein Hauptgrund für unsere loyale und ehrliche Neutralität. 
Diese Neutralität geht allerdings schon daraus hervor, daß wir keinen 
Grund haben, uns in einen Krieg zu mischen, welcher die deutschen Inter- 
essen nicht direkt berührt, und endlich ist das auch das sicherste Mittel, 
unseren Handel und unser wirtschaftliches Leben zunächst vor Schädigung 
zu bewahren. Gegen uns ist vielfach der Vorwurf erhoben worden, und 
auch ein Fraktionsgenosse des Abg. Sattler hat kürzlich in einem anderen 
Hause diesen Vorwurf erhoben, daß wir durch den Ausbruch des Krieges 
überrascht worden wären; ich habe sogar gelesen, daß wir durch einen 
übertriebenen Optimismus andere in unbegründete Sicherheit gewiegt hätten. 
Darauf könnte ich erwidern, daß die leitenden Minister in London, in Paris, 
in Petersburg und selbst die japanischen Vertreter in Paris und Peters- 
burg durch den Ausbruch des Krieges tatsächlich überrascht worden zu sein 
scheinen. Ich könnte auch betonen, daß selbst diejenigen nichtjapanischen 
Staatsmänner, die der Ansicht waren, daß der stark geheizte japanische 
Kessel Dampf abgeben würde, nicht vorausgesehen haben und nicht voraus- 
sehen konnten, daß die Regierung in Tokio für den Abbruch der diplo- 
matischen Beziehungen gerade den Augenblick wählen würde, den sie tat- 
sächlich ausgewählt hat. Ich will einfach darauf hinweisen, daß in solchen 
kritischen Augenblicken die Regierung einfach die großen auswärtigen Inter- 
essen des Landes wahrzunehmen und vor allem dafür zu sorgen hat, daß 
bei aufsteigendem Sturm das Schiff des Landes nicht auf Klippen und 
Untiefen gerät. Wenn wir damals bei Ausbruch des Krieges eine pessi- 
mistische Sprache geführt hätten, pessimistischer als sie anderswo geführt 
wurde, so würde man uns in Petersburg in das Licht der Kriegstreiberei 
haben ziehen können, würden wir dort gegen uns haben Mißtrauen er- 
regen können. Andererseits hatten wir keine Veranlassung, der japanischen 
Regierung kriegerische Absichten nachzusagen, solange Japan nicht selbst 
den Krieg erklärt hatte; wir sind also ebenso ruhig geblieben als die an- 
deren Zentren der europäischen Politik, und wir sind um so ruhiger ge- 
wesen, als wir weniger interessiert sind als die anderen. Aber ich möchte 
mich gegen einen anderen Vorwurf wenden, der uns weiter gemacht worden 
ist. Man hat uns einen Vorwurf daraus gemacht, daß wir uns inter- 
essiert haben für die Neutralisierung von China. Unsere Haltung in dieser 
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