2 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 8.)
Fortschreiten der Volksbildung und des Schulwesens, also für die grund-
legenden Erfordernisse des wirtschaftlichen Gedeihens und der Volkswohl-
fahrt. Der Ultramontanismus verneint grundsätzlich die Gleichberechtigung
der Konfessionen und die Gewissensfreiheit, welche hohen Güter sich die
Deutschen erst nach schweren Leiden und Kämpfen errungen haben. Der
Ultramontanismus vermengt die Religion, welche Sache innerer Über-
zeugung jedes einzelnen sein soll, systematisch mit politisch-klerikalen Macht-
zwecken. Er organisiert daher die Angehörigen einer bestimmten Konfession
zu einer politischen Partei und erweitert dadurch die religiösen Unterschiede
zu einer förmlichen Volksspaltung, die sich in das gesamte kulturelle,
staatliche und bürgerliche Leben überträgt und das friedliche Zusammen-
leben der Bevölkerung auf die Dauer untergraben muß. Landtagswähler!
Die größten liberalen Errungenschaften, die Einheit und der innere Friede,
die Freiheit und der Fortschritt unseres Volkes und damit die glückliche
Zukunft des Vaterlandes stehen also auf dem Spiele. Wer es ernst meint
mit dieser, breche mit uns die Macht des Rückschritts! Dazu ist nötig,
daß ihr Wähler alle, Mann für Mann, jeder an seinem Teil, eure ge-
samten Kräfte einsetzt im kommenden Wahlkampf, damit freiheitlich ge-
sinnte Männer in das bayerische Parlament kommen. Diese sollen in
erster Linie die mächtigste Aufgabe des nächsten Landtages lösen helfen,
das ist die Reform des Landtagswahlrechts. Wir sind prinzipiell für das
gerechteste Wahlsystem, das jeder Stimme im Lande ihren Wert sichert,
nämlich für die Proportionalwahl mit allgemeinem, gleichem, geheimem
und direktem Stimmrecht. Sollte jedoch das Zentrum die liberalen An-
träge auf Einführung der Proportionalwahl abermals aus eigensüchtigen
Beweggründen zu Fall bringen, wie das im letzten Landtage geschehen ist,
so sollen unsere Vertreter mit allen Mitteln ein direktes Wahlrecht mit
einer nach der Bevölkerungszahl zu bemessenden Wahlkreiseinteilung er-
streben. Landtagswähler! Es ist also ein durchaus unberechtigter Vor-
wurf, wenn man die Liberalen als Gegner des direkten Wahlrechts ver-
schreit! Unsere Abgeordneten sollen weiterhin eintreten für eine freiheit-
liche Entwicklung des Verfassungslebens und der Verwaltung, sie sollen
eine ebenso offene wie sachliche Kritik üben, um überall den Grundsätzen
der Gerechtigkeit und Freiheit zum Durchbruch zu verhelfen. Sie sollen
Einfluß üben darauf, daß die Stimme Bayerns im Reiche in diesem Sinne
geltend gemacht werde. In allen wirtschaftlichen und sozialen Fragen
sollen unsere Vertreter den Fortschritt und das Gedeihen der Gesamtheit
des Volkes als höchstes Ziel im Auge behalten. Unter diesem Gesichts-
punkt sollen sie die Interessen aller Erwerbszweige, der Landwirtschaft, der
Industrie, des Handwerkes und Gewerbes, des Handels und Verkehrs, die
berechtigten Interessen der selbständigen Unternehmer sowie die Bestrebungen
der Arbeiter auf Besserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage vor-
urteilsfrei und mit ausgleichender Gerechtigkeit berücksichtigen. Wir wollen
eine Wirtschaftspolitik, welche der gesamten heimischen Produktion ebenso
dienlich ist wie der Aufwärtsentwicklung der wirtschaftlich und sozial
schwächeren Volksschichten, denen die Selbsthilfe durch Staatshilfe erleichtert
werden muß. Wir wollen zum Nutzen des ganzen Volkes eintreten für
alle Maßregeln und Einrichtungen, welche soziale und wirtschaftliche Zer-
klüstungen beheben können. Als eine hauptsächliche Grundlage hierfür for-
dern wir die vollständige Umgestaltung unseres Steuersystems unter Zu-
grundelegung der allgemeinen progressiven Einkommensteuer. Landtags-
wähler! Sämtliche auf liberalem und demokratischem Boden stehende Partei-
gruppen haben sich auf ein Programm geeinigt, das diese eben gezeichneten
Richtlinien in Anwendung auf die einzelnen Aufgaben der Gesetzgebung