Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einundzwanzigster Jahrgang. 1905. (46)

118 Nes Beische Keich und seine einzelnen Glieder. (September 17./23.) 
Schmidt (Berlin) tritt für Neutralität der Gewerkschaften ein, weil sie 
viele Mitläufer hätten und diese nicht vor den Kopf stoßen dürften. Rosa 
Luxemburg und andere Radikale greifen diesen Standpunkt heftig an. 
Der Parteitag macht es „den Arbeitern und Arbeiterorganisationen zur 
Pflicht, für die allgemeine Arbeitsruhe am 1. Mai einzutreten und überall 
da, wo die Möglichkeit der Arbeitsruhe vorhanden ist, die Arbeit ruhen 
u lassen“. 
n seal. Antrag, eine planmäßige Agitation gegen den Militarismus 
und Marinismus einzuleiten, wird zurückgezogen, nachdem sich Bebel 
dagegen erklärt hat. (Vgl. 1904 S. 128). Es wird nur beschlossen, die 
jungen Leute über ihre Rechte als Soldaten aufzuklären. — Abg. Bebel 
beantragt, Vorbereitungen zu treffen für einen Massenstreik als Kampf- 
mittel zur Verteidigung wichtiger Volksrechte wie Stimmrecht, Koalitions- 
freiheit. Zu dem Zweck soll eine Broschüre massenweise verbreitet werden. 
In der Begründung stellt er die bürgerliche Gesellschaft als ganz korrupt 
hin; die Regierung fürchte nach dem Beispiele Rußlands eine Revolution 
in Deutschland. Darum brauche man auch keine Ausnahmegesetze wegen 
eines Massenstreiks zu fürchten; selbst das Militär würde nicht zuverlässig 
sein. Aber die parlamentarische Tätigkeit dürfe man deshalb nicht auf- 
geben wie die Berliner Anarchosozialisten verlangten. Abg. Heine: Ein 
Massenstreik sei vorläufig unmöglich; er würde den Arbeitern ungeheuer 
schaden. Erst müßten die Massen dafür gewonnen und organisiert werden. 
Die Frauen Luxemburg, Zetkin, Zietz sprechen sich für einen Massen- 
streik aus und greifen die Gegner heftig an. Rußland zeige, daß eine 
Revolution möglich sei. Abg. Frohme und David treten Heine bei. 
Nach heftiger Diskussion, in der viel von blutiger Revolution und dem 
bei Massenstreiks unvermeidlichen Hunger gesprochen wird, wird Bebels 
Antrag gegen 14 Stimmen angenommen. 
Zur Schlichtung des lebhaften Preßstreits zwischen „Vorwärts"“, 
„Leipziger Volksztg.“ und „Neue Zeit“ war eine Kommission eingesetzt 
worden. Abg. Dietz berichtet über ihre Beratungen und schlägt folgende 
Resolution vor: „Der Parteitag erkennt an, daß die Preßfehden der jüngsten 
Zeit nicht als „Literaten-Gezänk anzusehen sind, daß ihnen vielmehr ernste, 
sachliche, insbesondere auch prinzipielle Meinungsdifferenzen zugrunde liegen. 
Dementsprechend ist es auch anzuerkennen, daß die den Inhalt der Preß- 
fehden bildenden Streitfragen an sich einer öffentlichen Diskussion bedürfen. 
Der Parteitag erkennt ferner an, daß die streitenden Teile von dem Be- 
streben erfüllt gewesen sind, der Partei nach bestem Wissen zu dienen. Was 
dagegen die Form betrifft, in der die Diskussionen zum Teil geführt 
wurden, so ist sie auf das schärfste zu mißbilligen. Mit aller Entschieden- 
heit erhebt der Parteitag Einspruch gegen eine gehässige, die persönliche 
und die Parteiehre von Genossen verletzende Art der Diskussion, durch 
welche auch der Agitation im Lande die größten Schwierigkeiten bereitet 
werden. Der Parteitag erklärt deshalb mit allem Nachdruck, daß dieser 
Art Diskussion nun ein Peel zu setzen ist, daß aber selbstverständlich der 
sachlichen Kritik der freieste Spielraum gelassen werden muß. Zur Er- 
reichung dieses Zweckes fordert der Parteitag: 1. Die Parteischriftsteller 
und Redakteure unserer der Parteikontrolle unterstellten Parteiorgane haben 
in erster Linie ihre Aufgaben in der prinzipiellen Aufklärung der Arbeiter- 
massen sowie in der Bekämpfung der politischen Gegner zu sehen. 2. Die 
prinzipielle Aufklärung hat entsprechend den Grundsätzen des Partei- 
programms im Sinne der Dresdener Resolution zu erfolgen. 3. Kritische 
Untersuchungen des Parteiprogrammes sind mmliasa in der „Neuen Zeit"“ 
zu veröffentlichen, die zu diesem Zwecke erforderlichen falls zu erweitern ist.
	        
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