Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einundzwanzigster Jahrgang. 1905. (46)

Das Veensche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 6./15.) 147 
Gegenstand nicht verlassen, ohne mit der größten Entschiedenheit die An- 
griffe zurückzuweisen, die in der Sitzung vor acht Tagen, der ich zu meinem 
lebhaften Bedauern, verhindert durch dringende Amtsgeschäfte, nicht bei- 
wohnen konnte, gegen den General von Trotha gerichtet worden sind. Der 
General von Trotha hat in einem langwierigen und schwierigen Feldzuge 
persönliche Bravour, Energie, Umsicht, alle Eigenschaften eines hervor- 
ragenden Führers an den Tag gelegt. Mit vollem Recht trägt er die 
höchste militärische Auszeichnung, die Preußen zu vergeben hat, den Orden 
Pour le mérite. Solche Angriffe, wie sie gegen den General von Trotha- 
gerichtet worden sind, können nur sein Ansehen erhöhen, können nur die 
Achtung vor ihm erhöhen bei allen denjenigen, die sich als Deutsche fühlen. 
Sachlich habe ich auf die Vorwürfe, die gegen die Kriegführung des 
Generals von Trotha und insbesondere gegen eine wieder zur Sprache 
ebrachte Proklamation des Generals gerichtet worden sind, das Nach- 
ssehende zu sagen: Es ist begreiflich, daß in dem Augenblicke, wo diese 
Proklamation erlassen wurde, für den General von Trotha die militärischen 
Gesichtspunkte in erster Linie standen. Diese ließen ihm die äußerste 
Strenge gegenüber den Herero als notwendig erscheinen. Sie wissen 
übrigens, daß der General von Trotha die Proklamation, die für die 
Herero bestimmt war, durch einen gleichzeitig an die Truppen erlassenen 
Befehl wesentlich abgemildert hat. Trotzdem ist, sobald diese Proklamation 
hier bekannt geworden war, in Uebereinstimmung mit den Grundsätzen, 
die ich vor einem Jahre vor diesem hohen Hause entwickelt habe, der 
General telegraphisch angewiesen worden, die Herero, mit Ausnahme der 
unmittelbar Schuldigen, nicht zurückzuweisen und für ihre Unterbringung 
die guten Dienste der Missionen anzunehmen. Nach diesen Grundsätzen ist 
im ganzen Schutzgebiet, sowohl im Hererolande wie auf dem südlichen 
Kriegsschauplatz, verfahren worden. Wenn Sie sich in die Lage unserer 
Leute in Südwestafrika versetzen, so werden Sie mir, glaube ich, zugeben, 
daß eine so weitgehende Schonung des Feindes bei unseren Leuten einen 
hohen Grad von Selbstbeherrschung voraussetzt. Die Tücke und die 
Grausamkeit des aufständischen Feindes, wie sie hier der Oberst v. Deim- 
ling geschildert hat, der selbst vor dem Feinde gestanden hat, und uner- 
hörte Strapazen stellten die Geduld und Langmut unserer Leute auf eine 
harte Probe. Ich glaube, daß, wer fern vom Schuß sich über angebliche 
Grausamkeiten unserer Leute entrüstet, daß der sich doch keinen rechten 
Begriff davon macht, was es für unsere solchen Anstrengungen und Ent- 
behrungen, den Qualen von Hunger und Durst, der steten Todesgefahr 
ausgesetzten Reiter bedeutet, die zu Hunderten vom Feinde ausgestoßenen 
Weiber und Kinder bei sich aufzunehmen und den letzten Schluck Wasser 
und das letzte bißchen Reis mit ihnen zu teilen. Das setzt nach meiner 
Auffassung eine Selbstverleugnung voraus, von der ich nicht weiß, ob alle 
diejenigen sie eintretendenfalls an den Tag legen würden, die jetzt nach 
unseren Truppen mit Steinen werfen. Jedenfalls, gegenüber den Ver- 
suchen, unseren Leuten und unserer Kriegführung in Südwestafrika einen 
Makel anzuheften, Versuchen, die im Inland hervorgehen aus Parteiwut, 
im Auslande aus Heuchelei, gegenüber solchen Versuchen erkläre ich, daß 
nach meiner Ueberzeugung selten oder nie ein Kolonialkrieg mit solcher 
geduldigen Menschlichkeit geführt worden ist wie dieser Feldzug von unseren 
eutschen Soldaten (Bravo). Der Abg. Bebel hat vorgestern den Besuch 
Seiner Majestät des Kaisers in Tanger eine Provokationsreise genannt, 
und auch der Abg. Bassermann war mit diesem Besuche nicht ganz ein- 
verstanden. Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, will ich ausdrücklich 
betonen, daß ich diesen Besuch, der schon im Februar in Erwägung ge- 
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