Das Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 6./15.) 149
flüssen unterwerfen, wenn wir solchen Tendenzen auch nur Einfluß ein-
räumten über unsere auswärtige Politik, so würden wir die Sicherheit
des Landes gefährden; das wäre nationaler Selbstmord. Ich werde alle
derartigen Versuche auch künftig abweisen und in ihre Schranken zurück-
weisen. In Konstanz hat im vergangenen Juni der Führer der deutschen
Sozialdemokratie erklärt, wenn es zum Krieg käme, zwischen Deutschland
und Frankreich — zu einem Kriege, den wir nicht wünschen, von dem die
Führer der Sozialdemokratie sehr wohl wissen, daß wir ihn nicht wollen —,
wenn es zu einem solchen Kriege käme, wäre es sehr möglich, daß sich in
Deutschland Dinge ereigneten wie in Rußland. Das heißt: er stellte für
diesen Fall Revolution und Meuterei in Aussicht. Wenn es etwas gibt,
was im Auslande diejenigen ermutigt, die sich dem deutschen Volke gegen-
über mit gehässigen, mit feindseligen Absichten tragen, so ist es eine solche
Aeußerung und ein solcher Hinweis. Wir wissen alle, daß es in England
Organe der öffentlichen Meinung gibt, die in völliger Verkennung deutscher
Sinnesart oder wider besseres Wissen die Meinung verbreiten, als richteten
sich die deutschen Flottenrüstungen gegen England. Während nun die
verständigen Leute — nicht nur in Deutschland, sondern glücklicherweise
auch in England — darauf hinweisen, daß unsere Politik friedlich ist,
daß unsere Flottenverstärkung defensiver Natur ist, daß wir das Recht
haben, uns Schiffe zu halten und eine Flotte zu bauen wie alle anderen
Länder, so bemühte sich derselbe Führer der deutschen Sozialdemokratie
vorgestern wieder, die Meinung zu verbreiten, als enthielten unsere Flotten-
rüstungen eine Provokation, eine Drohung gegenüber England. Wenn
man eine Prämie setzen würde auf eine Aeußerung, die am meisten ge-
eignet wäre, unsere Stellung gegenüber England zu erschweren, Mißtrauen
in England gegen uns zu erwecken, den Unfrieden zwischen England und
Deutschland zu erregen, so würde der Mann einen Anspruch auf eine
solche Prämie haben, der hier eine solche Aeußerung gemacht hat. Weiter
hat der Führer der Sozialdemokratie gesagt, die deutsche Sozialdemokratie
würde das Vaterland nur dann verteidigen, wenn ihr das richtig erscheine,
d. h. wenn es in ihren Parteikram passe. Der Abg. Bassermann hat schon
gefragt, wer soll denn das entscheiden, ob gefochten werden, ob das Vater-
land verteidigt werden soll? Soll das entschieden werden auf einem
sozialdemokratischen Parteitag durch Mehrheit, oder wird das entschieden
vom sozialdemokratischen Parteivorstand, wie eine Stänkerei innerhalb der
Redaktion dieses oder jenes Parteiblattes, oder trägt etwa der Diktator
der sozialdemokratischen Partei die Entscheidung darüber in den Falten
seiner Toga? Und das wurde hier gesagt, 24 Stunden, bevor in der
französischen Deputiertenkammer gestern ein hervorragender französischer
Sozialist erklärte, die französische Sozialdemokratie desertiere nicht vor dem
auswärtigen Feinde. Wenn jene Aeußerung des Führers der deutschen
Sozialdemokratie so viel heißen soll, daß diese, wo es sich um die Sicher-
heit, die Wohlfahrt, die Zukunft des ganzen Volkes in einem uns freventlich
aufgedrungenen Kriege — und nur einen solchen werden wir führen,
darauf können Sie sich verlassen! — handelt, erst ratschlagen will, ob sie
mittun soll oder nicht, das heißt auf deutsch, ob sie Landesverrat üben
will oder nicht, so kann ich Ihnen nur raten, solche Tendenzen nicht da
zu betätigen, wo Sie nicht unter dem Schutze der parlamentarischen
Immunität stehen. Und ich möchte auch dem Auslande raten, auf solche
sozialistischen Versicherungen keine Hoffnung zu bauen. Der Abg. Bebel
hat vorgestern mehrmals auf die russischen Verhältnisse hingewiesen, und
in der sozialdemokratischen Presse lesen wir täglich Vergleiche und Hinweise,
daß es bei uns ebenso kommen könnte. Aus naheliegenden Gründen