Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einundzwanzigster Jahrgang. 1905. (46)

         Das Deutsche Reich und seine einzelen Glieder. (Januar 14./17.)           9
 
Werte, dort im Familienelend und in sinkender Lebensführung. Und 
deshalb schließe ich mich von ganzem Herzen der Hoffnung des Herrn Ab- 
geordneten Herold an, die gewiß von diesem hohen Hause ohne Ausnahme 
geteilt wird, daß auf beiden Seiten die besonnene Überlegung die Ober- 
hand behalten und ohne schwere Kalamitäten für beide Teile und für das 
Land zu einer friedlichen Verständigung führen möge. 
             Abg. Friedberg (nl.) widerspricht dem Plane des Finanzministers, 
die Gesellschaften mit beschränkter Haftung zur Einkommensteuer heran- 
zuziehen. Eine Verbilligung der Gütertarife sei zu wünschen. Handels- 
minister Möller sagt über die Ursachen des Bergarbeiterstreiks: Die Ar- 
beiter klagten über die niedrigen Löhne, aber diese seien seit 1902 wieder 
im Steigen. Auch von schlechter Behandlung könne man nicht sprechen; 
Ausschreitungen seien Ausnahmen. Das Wagennullen werde als drückend 
empfunden, obgleich nie mehr als 3 Prozent genullt seien; vielleicht lasse 
sich ein anderes Disziplinarmittel finden. Die Wurmkrankheit, ein weiterer 
Beschwerdepunkt, werde in Preußen viel energischer als im Auslande be- 
kämpft; die Kraft der Krankheit sei gebrochen. Aber die unentbehrlichen 
Kontrollmaßregeln hätten die Arbeiter erregt. Die Beschwerden über die 
Verlängerung der Seilfahrt rührten zum Teil von der Stillegung der 
Zechen her; auf manchen Zechen sei die Arbeiterzahl dadurch über Gebühr 
erhöht und so hätte die Dauer der Seilfahrt nicht immer eingehalten wer- 
den können. In mehreren Fällen habe die Bergbehörde die Verlängerung 
verhindert. Die Bergverwaltung werde in der Vermittlung strenge Neu- 
tralität halten. 
             Am 16. Januar teilt Handeleminister Möller über die Lage im 
Ruhrrevier mit: Im Anschluß an meine Worte am Schlusse der Sitzung 
vom Sonnabend kann ich Ihnen mitteilen, daß der Herr Oberberghaupt- 
mann von Essen zurückgekehrt ist, und kann Ihnen Mitteilung über ein 
Protokoll machen, das dort über die Verhandlungen, die er mit den Inter- 
essenten des Bergbaues geführt hat, ausgenommen worden ist. Das Pro- 
tokoll lautet: Der Oberberghauptmann v. Velsen hat im Auftrage S. Ex- 
zellenz des Herrn Ministerpräsidenten und S. Exzellenz des Herrn Handels- 
ministers sich mit dem dortigen Herrn Geheimrat ins Benehmen gesetzt, 
um hier über die Stellung der Bergbauindustrie zu den jüngst erhobenen 
Forderungen einer bergmännischen Delegiertenversammlung, welche am 
12. dieses Monats in Essen verhandelte, Rücksprache zu nehmen. Nach längerer 
Verhandlung erklärten die Herren vom Bergbauverein, daß es völlig aus- 
geschlossen sei, auf den Vorschlag der Delegierten einzugehen, wonach Ver- 
handlungen zwischen denselben und dem Bergbauverein über die Forderungen 
stattfinden sollen. Derartigen Verhandlungen stände einmal entgegen der 
unter Kontraktbruch begonnene Ausstand, sodann die völlige Unsicherheit 
der Exequierbarkeit etwaiger Vereinbarungen. Die Herren vom Bergbau- 
verein weisen darauf hin, daß trotz der am 12. dieses Monats in Essen 
ausgegebenen strikten Parole, weitere Belegschaften sollen nicht in den Aus- 
stand treten, gestern und heute zahlreiche neue Belegschaften wiederum unter 
Kontraktbruch in den Ausstand getreten wären. Somit bestände nicht die 
geringste Wahrscheinlichkeit, daß die Unterzeichner der fraglichen Forde- 
rungen Autorität genug besäßen, die ausständigen Belegschaften auf den 
gesetzlichen Boden zurückzuführen. Zugleich aber erklärten die Vertreter, 
daß es im dringenden Interesse aller bergbaulichen Kreise liege, daß vollste 
Klarheit über die Verhältnisse des niederrheinisch-westfälischen Bergbaus 
durch eine objektive Untersuchung geschaffen werde, um festzustellen, daß 
irgendwelche allgemeine Mißstände im Ruhrbezirke nicht beständen.   Zu 
dem Zwecke wäre es von hohem Werte, wenn die königliche Staatsregierung 
  
  
 
	        
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