Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einundzwanzigster Jahrgang. 1905. (46)

Die ãsterreithisqh· nugarisce Menarhie. (Juni 23.—Juli 13.) 165 
zum 15. September vertagt wird. (Große Unruhe, Rufe: Schmach! 
Schande!) Das Handschreiben kann in dem großen Lärm nicht zu Ende 
gelesen werden. Die Sitzung wird für kurze Zeit nochmals unterbrochen 
und sodann auch der Schluß des Handschreibens verlesen. Nach der Ver- 
lesung erhebt sich Baron Banffy, um namens der Koalition Protest gegen 
die Vertagung des Abgeordnetenhauses zu erheben, da dieselbe dem gesetz- 
lichen Rechte der freien Meinungsäußerung seitens der Nation widerspreche, 
und erklärt, das Verbleiben der Regierung im Amte sei verfassungswidrig, 
da diese ein Mißtrauensvotum erhalten habe. Die Regierung sei daher 
nicht berechtigt, Rekruten auszuheben, die Ersatzreserve einzuberufen und 
die ausgedienten Rekruten zurückzubehalten, auch sei sie nicht berechtigt, 
Steuern zu erheben oder über Handelsverträge zu verhandeln. („Allg. Ztg.") 
Auch das Magnatenhaus votiert ein Mißtrauensvotum. 
23. Juni. (Ungarn.) Der König lehnt ein Entlassungs- 
gesuch des Ministeriums ab. 
6. Juli. (Cisleithanien.) Das Abgeordnetenhaus geneh- 
migt nach langer, stürmischer Beratung gegen die Obstruktion der 
Tschechisch-Radikalen den Handelsvertrag mit Deutschland und die 
provisorischen Abkommen mit der Schweiz und Bulgarien. (An- 
nahme im Herrenhause 14. Juli.) 
8. Juli. (Cisleithanien.) Das Abgeordnetenhaus vertagt 
sich auf unbestimmte Zeit. Ein Beschluß über die Regelung der 
Quotenfrage mit Ungarn und über die italienische Fakultät ist 
nicht zustande gekommen. 
Juli. (Ungarn.) Kundgebungen der Regierung, der un- 
teren Behörden und der Parteien. 
Am 13. richtet der Ministerpräsident an sämtliche Stadtverwaltungen 
einen Erlaß, worin unter Hinweis darauf, daß die gegenwärtige Regie- 
rung verfassungsgemäß und gesetzlich sei und daß die Regierungs= und 
Verwaltungsgeschäfte in einem modernen Staate keinen Augenblick Still- 
stand dulden, die Verwaltungen aufgefordert werden, jede Bestrebung 
zurückzuweisen, die auf die Hemmung der Staatsgeschäfte und Auflösung 
der gesetzlichen Ordnung hinzielt. Die Regierung werde jeden Beschluß 
der Städteverwaltungen, der die Zurückweisung von freiwillig gezahlten 
Steuern oder von freiwillig sich stellenden Rekruten bezweckt, unbedingt 
für ungültig erklären. 
Der Munizipalausschuß des Pester Komitats beschließt, die Ent- 
gegennahme der Steuern und die Stellung von Rekruten zu verweigern. 
Die Budapester Gemeindebehörde beschließt, auch freiwillig gezahlte Steuern 
der Staatskasse nicht abzuliefern. Der Minister des Innern kassiert diesen 
Beschluß. — Die koalierte Opposition erläßt folgende Kundgebung: Ob- 
wohl die Steuerzahlung und die Ableistung des Militärdienstes patrio- 
tische Pflicht ist und die Bürger bei Wiederherstellung der verfassungs- 
mäßigen Ordnung die jetzt fällige Steuer leisten werden, sie auch ebenso 
der Militärpflicht genügen müssen, ist es doch unter den gegenwärtigen 
Umständen jedermanns Pflicht, der nicht verfassungsmäßigen Regierung 
alle öffentlichen Leistungen vorzuenthalten. Die Lokalbehörden und die 
Organe der autonomen Behörden handeln rechtmäßig, wenn sie jede Mit- 
 
	        
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