Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einundzwanzigster Jahrgang. 1905. (46)

Grof#britannien. (Februar 14./16.) 187 
strikteste Neutralität zu beobachten und ihr Bestreben sei nicht erfolglos 
gewesen. Bezüglich der Frage der Kriegskontrebande sei die Regierung 
bemüht gewesen, die hergebrachte Politik Englands zu befolgen und die 
Liste der Kontrebandeartikel möglichst zu beschränken. Der Regierung sei 
es zu ihrer Befriedigung gelungen, in dieser Beziehung einen vernünftigen 
modus vivendi zu erlangen, und seit vorigem Juli seien nur solche eng- 
lische Schiffe von einer Beschlagnahme betroffen worden, die sich offen- 
kundig des Blockadebruchs schuldig gemacht hatten. Ein einziges Mal sei 
England auch anscheinend nahe daran gewesen, in den Kriegstrubel mit 
hineingezogen zu werden. Das war gelegentlich des Zwischenfalls in der 
Nordsee, den er (Redner) nur erwähne, weil er dem freundlichen Charakter 
der von Lord Spencer hinsichtlich der Haltung der Regierung in dieser 
Angelegenheit gemachten Bemerkungen seine Anerkennung zollen wolle. 
Die Entwickelung der makedonischen Angelegenheit sei unerfreulich. Er sei 
überzeugt, daß auf keine Besserung zu rechnen sei, wenn nicht für die Ein- 
führung durchgreifender Reformen Sorge getroffen werde. Mit Befriedi- 
gung sei es zu begrüßen, daß allgemein die Ansicht herrsche, daß weitere 
Reformen nötig seien. Ein neuer Reformentwurf stehe jetzt zur Beratung, 
der Entwurf sei sehr kompliziert. Er sei nicht in der Lage, ein Urteil 
über ihn abzugeben. Der Entwurf bedeute aber zur Befriedigung der 
Regierung einen Schritt vorwärts. Die Regierung werde nicht zögern, 
ihr Recht, den Entwurf zu kritisieren und Vorschläge dazu zu machen, aus- 
zuüben. Die Regierung habe Grund zu der Annahme, daß keine Kritik 
und keine Vorschläge, die sie machen würde, von Oesterreich-Ungarn und 
Rußland übel genommen würden. Ueber Tibet sagt Lord Lans- 
downe: Die Regierung sei gezwungen, das Vorgehen Younghousbands zu 
mißbilligen, der die Instruktionen überschritt und in einen Rechtsirrtum 
verfiel; denn sein Abkommen schloß die Besetzung des Tschumbitales auf 
70 Jahre ein, eine Zuwiderhandlung gegen die von der Regierung ab- 
gegebenen Zusicherungen; die indische Regierung nahm die Politik der 
Reichsregierung richtig auf. Wir haben allen Grund zu glauben, daß die 
indische Regierung unsere Instruktionen getreu befolgte. Ueber den Fort- 
schritt der Verhandlungen in Afghanistan kann ich keine Auskunft geben. 
Die Verhandlungen dauern noch fort; sie sind von äußerst schwieriger 
Natur. Es würde gegenwärtig sehr wenig wünschenswert sein, die darauf 
bezüglichen Akten zu veröffentlichen. Nachdem Lansdowne noch die Militär- 
politik der Regierung verteidigt hat, erklärt er, die Regierung sei nicht 
darauf vorbereitet, ihr Amt auf Geheiß der Opposition im Stich zu lassen. 
14./16. Februar. (Unterhaus.) Adreßdebatte. Zollfrage. 
Lees Rede. Sieg der Regierung. 
Abg. Campell Bannermann (lib.) greift die Regierung scharf 
an, weil ihre Handelspolitik unklar sei. Das Land erwarte mit wachsen- 
der Ungeduld die Gelegenheit, sein Urteil darüber abzugeben. Die Op- 
position verlange vom Premierminister eine klare, unzweideutige Erklärung, 
wie er über die Fiskalpolitik denke und was er beabsichtige. Die politische 
Lage sei voll von Gefahr für die öffentlichen Interessen. Das Ministerium 
sei demoralisiert; wie sehr dies der Fall sei, zeige sich in der ganz unan- 
gebrachten Rede, die ein untergeordnetes Mitglied der Admiralität gehalten 
habe. Der Zivillord der Admiralität Lee sei augenscheinlich bestrebt ge- 
wesen, beachtet zu werden (Beifall der Liberalen, Widerspruch bei den Kon- 
servativen), und er habe anscheinend beschlossen, sich einen Namen zu machen. 
Dies sei ihm gelungen, und Tausende, die bisher nie von ihm gehört 
hätten, wüßten jetzt von seiner Existenz. Die Welt sei empört über die 
 
	        
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