Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20.). 13
Welche Maßregeln gedenkt der Herr Reichskanzler gegenüber diesen Vor-
gängen zum Schutze der Arbeiter sowie der Kohlenverbraucher zu ergreifen?
Er führt in der Begründung aus, daß 220000 Arbeiter ausständig
seien und musterhafte Ordnung hielten; Belästigungen von Arbeitswilligen
seien nicht erfolgt. Die Grubenbeamten hätten durch ihr rüdes Benehmen
viele Erregung hervorgerufen. Leider habe die Regierung, die bisher lobens-
werte Unparteilichkeit gezeigt habe, diesen Beamten jetzt polizeiliche Qualifi-
kation verliehen, und das werde die Aufrechterhaltung der Ordnung er-
schweren. Der Ausstand sei hervorgerufen durch die eigenmächtige Ver-
längerung der Seilfahrt auf Zeche Bruchstraße und durch die Verweigerung
der Hausbrandkohle. Trotzdem hätte ein wenig Entgegenkommen von
seiten der Zechenverwaltung den Streik verhindert, aber anstatt dessen seien
die Arbeiter schroff abgewiesen, und jede Verhandlung mit ihnen sei ab-
gelehnt worden. Leider habe das Auftreten des Ministers Möller im
preußischen Landtag am 16. den Unternehmern den Rücken gestärkt. Der
Vorwurf des Kontraktbruchs sei ungerechtfertigt: auf Zeche Bruchstraße
sei den Arbeitern ihr Recht kontraktwidrig genommen, da hätten die an-
deren Bergleute ihre Kameraden eben unterstützen müssen. Die Unter-
nehmer, in letzter Linie das Kohlensyndikat, hätten den Streik systematisch
provoziert. Regierung und Arbeiter müßten den Großkapitalismus ge-
meinsam bekämpfen, denn das Syndikat, das die Fusionierung der kleinen
Zechen erstrebe, wolle dem Staat die Gesetze diktieren.
Reichskanzler Graf Bülow: Meine Herren! Der preußische Herr
Handelsminister wird die Interpellation der Abgeordneten Auer und Ge-
nossen im einzelnen beantworten. Ich will aber seinen Ausführungen
einige Bemerkungen vorausschicken über eine Frage, die im Vordergrunde
des öffentlichen Interesses steht, die das Land lebhaft bewegt. Ich habe
bereits im preußischen Abgeordnetenhause gesagt, daß die Regierung nach
meiner Ansicht bei Streiks eine doppelte Aufgabe hat: sie muß zunächst
dafür sorgen, daß Ordnung und Ruhe unter allen Umständen aufrecht er-
halten bleibt. Sie soll aber auch durch ihre Organe auf den Ausgleich
der Gegensätze hinwirken, um damit für unser gesamtes wirtschaftliches
Leben größeres Unheil nach Möglichkeit zu verhindern. Ich nehme
Akt von der Erklärung des Herrn Vorredners, daß die Ruhe im Ruhr-
revier durch die Arbeitnehmer nicht gestört werden würde. Ich hoffe,
die Ereignisse werden ihm Recht geben. Ich will aber nichtsdestoweniger
auch hier keinen Zweifel darüber lassen, daß die preußische Staats-
regierung die vollen Machtmittel des Staates einsetzen wird, wenn
der im Ruhrrevier entfesselte Lohnkampf in Exzesse ausarten sollte. Die
bisher im allgemeinen von dem Gros der Bergarbeiter beobachtete ruhige
Haltung überhebt mich nicht der Mahnung an die Arbeitnehmer, der ein-
dringlichen Mahnung an die Arbeitnehmer, sich nicht zu Gewalttaten hin-
reißen zu lassen. Insbesondere ist es die Pflicht der Behörden, die per-
sönliche Freiheit zu schützen. Wenn der Mensch das Recht zum Streik
hat, so hat er doch auch das Recht zu arbeiten (sehr richtig! rechts), und
dieses Recht muß gegen jede Art von Terrorismus nachdrücklich geschützt
werden. Meine Herren, ich beklage es tief, daß noch keine Einigung zu-
stande gekommen ist. Die zur Vermittlung berufenen Staatsorgane haben
jedenfalls das ihre getan, und sie werden in ihrer vermittelnden, in der
gleichen versöhnenden Richtung auch weiter bemüht bleiben. Von einer
Seite wird alle Schuld an dem Ausstande auf die Arbeitgeber geschoben,
und gewiß, meine Herren, wenn die von dem Herrn Vorredner vorgebrachten
Vorwürfe, insbesondere der Inhumanität, tatsächlich begründet wären, so
würden sie allgemeiner Verurteilung begegnen. Von der anderen Seite