Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einundzwanzigster Jahrgang. 1905. (46)

216 Frankreich. (Juli 10.) 
Souveränität und Unabhängigkeit des Sultans; Integrität seines Reiches; 
wirtschaftliche Freiheit ohne jegliche Ungleichheit; Nützlichkeit von polizei- 
lichen und finanziellen Reformen, deren Einführung für kurze Zeit auf 
Grund internationaler Vereinbarung geregelt werden soll; Anerkennung 
der Lage, die für Frankreich in Marokko geschaffen wird durch die lang- 
ausgedehnte Grenzberührung zwischen Algerien und dem Reiche des Scherifs 
und durch die sich hieraus für die beiden Nachbarländer ergebenden eigen- 
artigen Beziehungen, sowie durch das hieraus für Frankreich folgende 
besondere Interesse daran, daß im Reiche des Scherifs Ordnung herrsche. 
Infolgedessen läßt die Regierung der Republik ihre ursprünglichen Ein- 
wendungen gegen die Konferenz fallen und nimmt die Einladung an.“ 
Antwort des deutschen Botschafters Fürsten Radolin an den fran- 
e Minister des Auswärtigen und Ministerpräsidenten Rouvier vom 
8. Juli: 
„Herr Ministerpräsident! Da die Regierung der Republik die vom 
Sultan von Marokko vorgeschlagene Konferenz annimmt, so hat die kaiser- 
liche Regierung mich beauftragt, Ihnen die mündlichen Erklärungen zu 
bestätigen, nach welchen sie auf der Konferenz keine Ziele verfolgen wird, 
welche die berechtigten Interessen Frankreichs in diesem Lande in Frage 
stellen oder in Widerspruch stehen mit den Rechten Frankreichs, die sich 
aus dessen Verträgen (oder Arrangements) ergeben und sich mit folgenden 
Grundsätzen im Einklang befinden: Souveränität und Unabhängigkeit des 
Sultans; Integrität seines Reiches; wirtschaftliche Freiheit ohne jede Un- 
gleichheit, Nützlichkeit von polizeilichen und finanziellen Reformen, deren 
Einführung für kurze Zeit auf Grund internationaler Vereinbarungen ge- 
regelt werden soll; Anerkennung der Lage, die für Frankreich in Marokko 
geschaffen wird durch die langausgedehnte Grenzberührung zwischen Algerien 
und dem Reiche des Scherifs und durch die sich hieraus für die beiden 
Nachbarländer ergebenden eigenartigen Beziehungen, sowie durch das hieraus 
für Frankreich folgende besondere Interesse daran, daß im Reiche des 
Scherifs Ordnung herrsche.“ 
Die gemeinsame Erklärung des Fürsten Radolin und des Minister- 
präsidenten Rouvier vom 8. Juli lautet: 
„Die deutsche Regierung und die Regierung der Republik sind überein- 
gekommen: erstens gleichzeitig ihre zurzeit in Fez befindlichen Gesandtschaften 
zurückzuberufen, sobald die Konferenz zusammengetreten ist; zweitens dem 
Sultan von Marokko gemeinschaftlich durch ihre Vertreter Ratschläge er- 
teilen zu lassen zur Feststellung des von ihm zur Konferenz vorzuschlagen- 
den Programms auf den Grundlagen, wie sie in den unterm 8. Julie 
zwischen dem deutschen Botschafter in Paris und dem Ministerpräsidenten 
und Minister des Auswärtigen ausgetauschten Schreiben angegeben sind. 
Paris, 8. Juli 1905. Radolin, Rouvier.“ 
10. Juli. (Kammer.) Ministerpräsident Rouvier gibt fol- 
gende Erklärung über die Verhandlungen mit Deutschland ab: 
„Die Kammer erinnert sich, daß unser Gesandter in Marokko bei 
seiner Reise nach Fez im Januar d. J. den Auftrag hatte, namens Frank- 
reichs den Sultan mit den Resormen bekannt zu machen, die am meisten 
geeignet sind, der gestörten Lage seines Reiches wieder aufzuhelfen, und 
die in großen Zügen einer Versamumlung der Notablen des Reiches unter- 
breitet, sowie sehr gründlich unter Mitwirkung der zu diesem Zwecke er- 
nannten Bevollmächtigten geprüft worden waren. Diese Reformpläne 
fanden keine ablehnende Antwort oder ernstliche Einwendung. Der Sultan 
jedoch, über diese vorbereitenden Verhandlungen unterrichtet, wünschte die 
 
	        
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