230 Italien. (April Mitte—Mai 10.)
leisten. Wir haben das Bewußtsein, aus Pflichtgefühl die Regierung in
schwieriger Zeit übernommen zu haben, in der die Unterstützung des
Parlaments nötiger ist als je. Wir bitten Sie, uns nach unseren Werten
zu beurteilen.“
Mitte April. Eisenbahnerstreik.
Um das Eisenbahngesetz zu Fall zu bringen, proklamiert das sozialistische
Agitationskomitee den Ausstand aller Eisenbahnangestellten (17. April). Es
beteiligt sich nur ein geringer Teil; die Streikenden werden durch Arbeiter
und Militär ersetzt. Der Verkehr wird nur vorübergehend an einigen Stellen
gestört. Am 21. wird die Arbeit wieder aufgenommen.
16./17. April. (Kammer.) In einer Besprechung des Eisen-
bahnerausstandes tadeln alle bürgerlichen Parteien den Streik als
ungesetzlich. Ministerpräsident Fortis will gegen die Streikenden
keine Vergeltungsmaßregeln anwenden.
19. April. Die Kammer genehmigt in geheimer Abstimmung
mit 289 gegen 45 Stimmen die Eisenbahnvorlage. (Annahme im
Senat 21. April.)
29. April. (Venedig.) Der Minister des Auswärtigen Tit-
toni hat eine Zusammenkunft mit dem österreichisch-ungarischen
Minister des Auswärtigen Graf Goluchowski.
2. Mai. (Venedig.) Das deutsche Kaiserpaar besucht Venedig.
10. Mai. (Senat.) Debatte über Tripolis.
Der Minister des Auswärtigen wird interpelliert, wie die Dinge
in Tripolis lägen, ob tatsächlich, wie in der Presse behauptet werde, dort
französischen Kapitalisten eine Konzession zum Hafenbau erteilt sei. Minister
des Auswärtigen Tittoni: Italien habe sich in Tripolis gewisse Vor-
rechte von den Mächten garantieren lassen. Italien beabsichtige sich dieser
Vorzugsrechte durch eine Besetzung Tripolis jedoch nur dann zu bedienen,
wenn die Umstände es unerläßlich machen sollten. Für Italien sei Tripolis
das Element, welches das Gleichgewicht des Einflusses der verschiedenen
Mächte im Mittelmeer bestimme; eine Störung dieses Gleichgewichts zu
seinem Nachteil werde es nie zulassen können. Italien habe sich loyaler-
weise für den Frieden erklärt, müsse aber für die Wahrung seiner lebens-
wichtigen Interessen im Mittelmeer vorsorgen. Von diesem Ziele gingen
auch die im Parlament einzubringenden Flottenmaßnahmen aus. An die
effektive Besetzung von Tripolis dürfe Italien allerdings nicht denken,
während es mit der Türkei in freundschaftlichen Beziehungen stehe, weil
es dadurch diejenigen ermutigen würde, die das Ende der Türkei be-
schleunigen wollten, in einem Augenblicke, in dem die Integrität der Türkei
die Grundlage der auswärtigen Politik bilde. Doch müsse jenes Italien
zugestandene Vorzugsrecht ihm schon jetzt den Anspruch auf wirtschaftlichen
Vorzug geben durch die Ermunterung zur Initiative auf dem dortigen
industriellen und landwirtschaftlichen Gebiete. Dies solle im vollen Ein-
vernehmen mit der Pforte geschehen, die das größte Interesse daran habe,
das auf den Frieden hinzielende Vorgehen der italienischen Zivilisation zu
erleichtern. Die falsche Nachricht von der Hafenkonzession sei bedauerlicher-
weise von der Presse, ohne ihre Richtigkeit zu prüfen, zu Verdächtigungen
der französischen Regierung benutzt worden, die vollkommen loyal gehandelt