Rußland. (September 2.—18.) 279
2. September. Unruhen in Baku.
Es brechen blutige Kämpfe zwischen Tataren und Armeniern aus;
die Polizei ist machtlos. Der Straßenkampf dehnt sich auf das Naphtha-
gebiet aus; der größte Teil der Bohrtürme und Gruben wird zerstört,
über 1000 Menschen kommen um. Die Unruhen richten sich zum Teil
gegen die Regierung; das Haus des Gouverneurs wird beschossen. Da
wenig Militär vorhanden ist und erst nach einigen Tagen größere Massen
eintreffen, vermuten europäische Blätter, die russische Polizei habe die Tataren
gegen die Armenier aufgehetzt. Auch in anderen Gebieten des Kaukasus
finden solche Kämpfe statt; bei Schusch werden mehrere Armenierdörfer
zerstört. Der Schaden der Naphthaindustrie wird auf mehrere Hundert
Millionen Mark berechnet.
7. September. (Petersburg.) Admiral Nebogatoff und
mehrere Kapitäne werden ihrer Stellen entsetzt.
7. September. Ein unbekannter mit Waffen und Munition
beladener Dampfer geht im Finnischen Meerbusen unter. Es wird
vermutet, daß die Ladung für eine bewaffnete Erhebung in Finn-
land bestimmt war.
9. September. (Sebastopol.) Nach zehntägiger Verhand-
lung gegen 75 Matrosen des Panzerschiffes „Georgi Pobjedonoszeff“
werden vom Militär= und Marinegericht drei Angeklagte zum Tode,
19 zur Zwangsarbeit und 33 zur Einreihung in die Arrestanten-
kompanie verurteilt. 20 werden freigesprochen.
Mitte September. Die „Nowoje Wremja“ schreibt über die
künftige Politik Rußlands:
„Wenn man uns den Weg für unsere natürliche Entwickelung nach
dem Osten hin verlegt hat, so werden wir mit logischer Notwendigkeit nach
dem Westen oder richtiger nach dem Südwesten streben. Das bedeutet nicht,
daß wir einen Zwist mit Deutschland in der sflawischen Frage predigen
wollen. Es dürfte wirklich ein Fehler sein, zwischen Deutschland und Ruß-
land in einem solchen Moment Mißverständnisse zu schaffen, wo uns Jahre
des Friedens nötig sind (die „Mißverständnisse" * natürlich erst später
kommen). Aber wir können nicht umhin, daran zu erinnern, daß jetzt
150 Millionen Slawen gezählt werden gegen 89 Millionen Deutsche, daß
mithin in der Idee des Slawentums ein großer Quell der Macht und der
Erneuerung liegt. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Reformen des
6. (19.) August (Gossudarstwennajaduma) den wohltätigsten Einfluß auf die
Besserung der russisch-slawischen Beziehungen haben müssen. Viele Versuche
der Annäherung sind ja bis jetzt nur deshalb nicht gelungen, weil man
unser Regime aarchtet, weil man den Stanowoi und Isgrawnik fürchtete
(höhere Beamte der ländlichen Administration). Wenn dieser Wirrwarr
endgültig verschwunden sein wird, wird sich der Boden für die Festigung
der allslawischen Verbindungen als gut vorbereitet erweisen, und vielleicht
werden dann auch jene Zwistigkeiten aufhören, welche bis jetzt das Slawen-
tum entkräftet haben.
18. September. Der Zar beauftragt den unter dem Vorsitz
des Grafen Sollsky tagenden Sonderausschuß, folgenden Entwurf
für das Ministerkabinett zu prüfen: