Kußland. (Oktober 20.—30.) 281
gation, sich die Vertreterin des gesamten Eisenbahnpersonals zu nennen,
gezweifelt werden sollte, behält sich die Delegation das Recht vor, ihre
Auftraggeber über die Mittel zur Erkämpfung einer besseren Zukunft zu
belehren. — Graf Witte empfängt die Deputation und erklärt, das Memo-
randum enthalte zahlreiche unerfüllbare Forderungen, während andere
Aufmerksamkeit verdienten. Gegenwärtig sei eine konstituierende Versamm-
lung unmöglich. Das allgemeine Stimmrecht gebe den Reichen das Ueber-
gewicht durch die Möglichkeit des Stimmenkaufes. Das allgemeine Stimm-
recht sei übrigens kein wesentliches Bedürfnis der Eisenbahner; Versamm-
lungsfreiheit und Preßfreiheit würden dagegen bald gewährt werden. Er
sei Gegner jeden Druckes und Blutvergießens und Verfechter der weitesten
Freiheit, könne aber nicht vorher sagen, wie man den Ausstand beendigen
werde. Er werde mit dem Fürsten Chilkow konferieren und sein Möglichstes
tun. Der Ausstand müsse aber beendet werden und man sollte daher auf
friedliche Bedingungen hinarbeiten.
20. Oktober. (Polen.) Ein Ukas erklärt den Gebrauch des
Polnischen und des Lithauischen als Unterrichtssprache in den
Privatschulen des Zartums Polen vorläufig für zulässig. Nur für
den Unterricht in der Geschichte und Geographie ist das Russische
obligatorisch.
Oktober. (Moskau.) Infolge des Eisenbahnstreiks ist Moskau.
abgeschnitten.
28. Oktober. (Warschau.) Der Generalstreik wird erklärt.
Die Regierung verhängt den dritten Grad des Kriegszustandes,
nach 8 Uhr abends darf sich niemand mehr auf der Straße zeigen.
30. Oktober. Der Zar erläßt folgendes Manifest über Wahl-
recht und Kompetenz der Duma:
Wir, Nikolaus der Zweite, von Gottes Gnaden Kaiser und Selbst-
herrscher aller Reußen, Zar von Polen, Großfürst von Finnland u. s. w.,
erklären allen treuen Untertanen, daß die Wirren und die Erregung in
Unseren Hauptstädten und in zahlreichen anderen Orten Unseres Reiches
Unser Herz mit großer und schmerzlicher Trauer erfüllen. Das Glück des
russischen Herrschers ist unlöslich verknüpft mit dem Glück des Volkes. Der
Schmerz des Volkes ist der Schmerz des Herrschers. Aus den gegenwärtigen
Unruhen kann eine tiefe nationale Zerrüttung und Bedrohung für die Un-
verletzlichkeit und Einheit Unseres Reiches entstehen. Die hohe, durch Unseren
Herrscherberuf Uns auferlegte Pflicht befiehlt uns daher, Uns mit all
Unseren Sinnen und mit Unserer ganzen Kraft zu bemühen, um das Auf-
hören der für den Staat so gefährlichen Wirren zu beschleunigen. Nach-
dem wir den in Betracht kommenden Behörden befohlen haben, Maßregeln
u treffen, um die unmittelbaren Kundgebungen, die Unordnung, die Aus-
schweisung, die Gewalttätigkeiten abzustellen, damit die friedlichen Leute,
die das Bestreben haben, ruhig ihre Pflicht zu erfüllen, geschützt werden,
haben Wir es für unentbehrlich erkannt, um mit Erfolg die auf die Be-
ruhigung des öffentlichen Lebens abzielenden allgemeinen Maßnahmen zu ver-
wirklichen, die Aktion der obersten Regierung zu vereinheitlichen. Wir legen
ferner der Regierung die Pflicht auf, wie folgt Unseren unbeugsamen Willen zu
erfüllen: 1. Der Bevölkerung die unerschütterlichen Grundlagen der bürger-
lichen Freiheit zu verleihen, die gegründet ist auf die wirkliche Unverletz-