Mebersicht der politischen Entwigzelnug des Jahres 1905. 323
es in den Häfen vornehmen wollte; eine französische Bankgruppe
endlich sollte weitgehende wirtschaftliche und politische Privilegien
erhalten, die praktisch jeden fremden Wettbewerb ausschlossen. Der
Gesandte motivierte die Forderungen mit der Notwendigkeit, durch
Herstellung von Ruhe und Ordnung in Marokko die franzöfische
Grenze vor Angriffen marokkanischer Banden zu schützen; er stellte
sich dem Sultan als Mandatar sämtlicher Großmächte dar und
drohte bei Ablehnung seiner Forderungen mit Gewalt: er suchte
also eine moralische und militärische Pression auszuüben.
Die deutsche Regierung erfuhr durch ihren Geschäftsträger
nicht sogleich alle Einzelheiten der französischen Forderungen, aber
was sie davon erfuhr, genügte zusammen mit den Außerungen
der französischen Presse, die laut die bevorstehende „Tunifikation“
Marokkos verkündete, um den Charakter der französischen Politik
erkennen zu lassen. Um die dem deutschen Handel drohende Gefahr
zu bekämpfen, war das erste Mittel, den Sultan in seinem natür-
lichen Widerstande gegen das Begehren Frankreichs zu stärken: der
deutsche Gesandte erhielt den Auftrag, gegen die Prätension des
französischen Gesandten, als Mandatar Europas aufzutreten, zu pro-
testieren, da er von Deutschland keine Ermächtigung erhalten habe.
Ferner galt es deutlich zu bezeugen, daß Deutschland trotz des
franzöfisch-englischen Vertrages Marokko als souveränen Staat an-
erkenne, der seine innere und äußere Politik selbständig regeln
könne: diesem Zweck diente die Reise des Kaisers nach Tanger
(S. 304). Im Vertrauen auf diese Haltung Deutschlands leistete
der Sultan dem französischen Drängen nachhaltigen Widerstand
(März, April). «
Als Deutschland so die franzöfische Politik durchkreuzte, kam
ihm zustatten, daß es sich auf die Madrider Abkunft berufen und
ausführen konnte, daß es nicht für sich besondere Privilegien, son-
dern nur die Erhaltung des seit 1880 geltenden Rechtszustandes
der „offenen Tür“ für alle Nationen erstrebe. Der Einführung
von Reformen in Marokko widersprach es keineswegs, aber es be-
tonte, daß darüber nicht Frankreich allein, sondern sämtliche Unter-
zeichner der Madrider Konvention zu entscheiden hätten, damit die
Rechte aller gewahrt blieben. Frankreich mußte sich also not-
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