26 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 1.)
nehmbaren Grundlage zu sichern — und nur auf einer für uns akzeptablen
Basis durften wir nach meiner Auffassung und nach meiner Überzeugung
neue Handelsverträge abschließen —, mußten wir zunächst in eine Revision
des bestehenden, dem gegenwärtigen wirtschaftlichen Leben in Deutschland
vielfach nicht mehr entsprechenden Zolltarife eintreten. Damit knüpften
wir an die Traditionen des Fürsten Bismarck an, der in seinem bekannten
Schreiben vom 20. Oktober 1878 an den damaligen Reichstagsabgeordneten
Freiherrn v. Barnbüler, die Revision des Zolltarifes als die Vorbedingung
für etwaige Handelsverträge bezeichnet hat, um Kompensationsobjekte zu
schaffen für eventuelle Handelsvertragsverhandlungen. Gerade auf den
Abschluß von langfristigen Handelsverträgen mit gebundenen Tarifen legten
die verbündeten Regierungen den höchsten Wert; sie wollten dadurch unserem
wirtschaftlichen Leben Sicherheit und Stetigkeit erhalten, unsere Ausfuhr-
industrie vor Überraschungen infolge etwaiger Willkür in der Zollgesetz-
gebung anderer Länder bewahren, und es unserer Exportindustrie ermög-
lichen, sich auf längere Zeit einzurichten und ihren Abschlüssen eine sichere
Basis zu geben. (Beifall.) Dadurch wird auf Grund der obwaltenden
Verhältnisse den Interessen nicht nur der Industrie und des Handels,
sondern auch der Landwirtschaft, die doch wesentlich zum großen Teil auf
die Ausfuhr der Erzeugnisse unserer Fabrikation angewiesen ist, tatsächlich
wohl am besten gedient. Daneben, m. H., aber hielten die verbündeten
Regierungen es für notwendig, nunmehr auch unserer Landwirtschaft einen
angemessenen, d. h. wesentlich erhöhten Zollsatz zu gewähren. Ich habe
aus meiner Überzeugung niemals ein Hehl gemacht, denn die Landwirt-
schaft ist es, die bei den letzten Handelsverträgen zu kurz gekommen war
(Sehr richtig! rechts, Oho! links), und die unter der damaligen Herab-
setzung der landwirtschaftlichen Zölle schwer zu leiden gehabt hat. Sollte
aber der Landwirtschaft geholfen werden, so war ein verstärkter Zollschutz
sowohl für den deutschen Getreidebau wie für die heimische Viehzucht un-
erläßlich. Denn der Getreidebau bildet auch heute die hauptsächlichste
Grundlage des landwirtschaftlichen Betriebes in Deutschland und wird es
bei unserer Bodenbeschaffenheit und unseren klimatischen Verhältnissen vor-
aussichtlich in absehbarer Zeit bleiben. Mehr als die Hälfte der deutschen
Ackerbaufläche wird mit Getreide bestellt. Bei einem so umfangreichen
Anbau der Getreidefrüchte ist die Höhe des Getreidepreises für die Ren-
tabilität der Landwirtschaft von eminenter Bedeutung. Nun zeigen aber
die Getreidepreise seit den letzten 25 Jahren wenn auch unter erheblichen
Schwankungen eine fallende Bewegung; bei der wachsenden Konkurrenz
des billiger produzierenden Auslandes, bei der Verbesserung der Transport-
mittel, bei der Billigkeit der Bahn- und Seefahrten findet diese sinkende
Bewegung ihre natürliche Erklärung. Das Maß für die Erhöhung der
landwirtschaftlichen Zölle glaubten die verbündeten Regierungen zu finden
einerseits in der gebotenen Rücksichtnahme auf die beiden anderen Erwerbs-
stände, Industrie und Handel, andererseits in der Rücksichtnahme auf die
Konsumenten. Wenn aber, m. H., die Schaffung vertragsmäßiger Verein-
barungen für den internationalen Güteraustausch den verbündeten Regie-
rungen notwendig erschien, so durfte mit der Erhöhung der landwirtschaft-
lichen Zölle nur so weit gegangen werden, als dabei der Abschluß lang-
fristiger Handelsverträge noch möglich erschien, als dabei eine Schädigung
anderer Bevölkerungskreise nicht zu besorgen war. Von diesen drei objek-
tiven Gesichtspunkten (Lachen bei den Soz.) sind die verbündeten Regie-
rungen auch bei der Abmessung der neuen Getreidezölle ausgegangen. Für
die vier Hauptgetreidearten wurden nach meinem Vorschlage Minimalzölle
eingestellt, um dadurch dem Auslande zu zeigen, daß ein Schutz des deut-