30 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 1.)
reicht haben, ist es begreiflich, daß wir auf demselben Gebiete auch Zu-
geständnisse haben machen müssen. Die neuen Handelsverträge waren des-
halb so schwer zu stande zu bringen, weil die agrarischen Interessen gerade
von Rußland, von Österreich-Ungarn und Rumänien so stark kollidierten
mit den für unsere Landwirtschaft bezweckten stärkeren Agrarschutzzöllen.
Das Mittel, einen Handelsvertrag zu stande zu bringen, bei dem der eine
Teil alles gibt, der andere Teil alles nachläßt, ist noch nicht gefunden
worden, irgendwo muß ein Loch gelassen werden. Wir haben es also bei
gewissen landwirtschaftlichen Produkten, für die in unserem Generaltarif
ein stärkerer Zollschutz angenommen war, bei den bisherigen Zollsätzen be-
lassen, und wir haben sogar an einigen Positionen Zollermäßigungen gegen
die bisherigen vertragsmäßigen Sätze mit in Kauf nehmen müssen. Das
ist aber nur bei solchen landwirtschaftlichen Artikeln geschehen, die eine
Zollermäßigung vertragen, ohne daß die großen landwirtschaftlichen Inter-
essen dadurch geschädigt wurden, und die gleichzeitig Kompensationsobjekte
boten für die Verhandlungen mit den anderen Staaten. Wir haben es
also bei Erbsen, Linsen, Raps, Rübsen, Eiern, der Schweiz gegenüber bei
Hartkäse bei den bisherigen Zollsätzen belassen, und wir haben auch Ab-
stand genommen von dem in Aussicht genommenen Stückzoll von 70 Pfennig
pro Gans, einerseits mit Rücksicht auf den intensiven Betrieb der Land-
wirtschaft bei uns, andererseits weil von den Vertragsstaaten, namentlich
von Rußland, auf die Zollfreiheit der Gänse besonderes Gewicht gelegt
wurde. Wichtige Zugeständnisse haben wir nur gemacht bei Futtergerste
und bei Holz. Gerste ist, abgesehen von ihrer Verwendung in der Bren-
nerei und Brauerei, ein wichtiges Material für die Viehmaß, infolgedessen
— das kann ich wohl sagen — waren von vornherein die Ansichten der
Landwirte über die Nützlichkeit eines hohen Zolles für Gerste geteilt. In
manchen Gegenden, wo die Viehzucht prävaliert, wird die Verbilligung
der Futtergerste durch die herabgesetzten Zölle nicht ungern gesehen werden.
Ich gebe zu, daß, wo Gerste zum Verkauf gebaut wird, die Sache anders
liegt. Aber hier wird der erhöhte Zoll für Braugerste seine Wirkung
ausüben. Ich glaube, daß die Ermäßigung des Zolles für die Futtergerste
in Verbindung gebracht werden muß mit der Erhöhung des Zolles für
Mais, die wir trotz großer entgegenstehender Hindernisse Rumänien gegen-
über durchgesetzt haben. Futtermittel erzeugt das Inland in Überfluß.
Wir brauchen verhältnismäßig wenig Mais. Die Erhöhung des Mais-
zolles wird die Nachfrage nach Futtergerste höher gestalten und sie dadurch
vor einem zu starken Preisdruck schützen. Was nun das Holz anbetrifft,
so lag die Sache ähnlich wie beim Hopfen. Wenn wir an den autonomen
Tarifen für Holz festgehalten hätten, wäre es völlig ausgeschlossen, Handels-
verträge mit Rußland und Österreich-Ungarn zu bekommen. Deutschland
ist nicht im stande, seinen Bedarf an Holz aus eigenen Beständen zu decken.
Deshalb erschien die Herabsetzung des Zolls für Holz zulässig. Dagegen
bietet der erhöhte Zolltarif den Vorteil, daß das Bauholz nicht als Roh-
holz, sondern als geschlagenes Holz verzollt wird und somit eine Zoll-
erhöhung von 4 Pfennig erfährt. Der Zoll für Sägeholz ist wegen der
Herabsetzung des Zolles für Rohholz ermäßigt worden, dagegen ist die
Spannung von 60 Pfennig für Rohholz und Sägeholz aufrecht erhalten,
und damit ist vermieden worden eine Verringerung des Zollschutzes für
unsere deutsche Sägeindustrie. Dazu kommt, daß sich Rußland verpflichtet
hat, während der ganzen Dauer des Vertrages weder sein Rohholz noch
sein geschlagenes Holz mit einem Ausfuhrzoll oder Ausfuhrverbot zu be-
legen. Die deutschen Schneidemühlen sind also dagegen sicher gestellt, daß
ihnen das aus Rußland bezogene Rohholz durch Auflegung eines Ausfuhr-