36 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 4.)
ihrer Gültigkeit weder einer Mitteilung an die Staatsbehörde, noch einer
Genehmigung von seiten der Staatsbehörde. § 7. Anerkannte Religions-
gemeinschaften können innerhalb des Reichsgebietes Religionsgemeinden
oder geistliche Ämter, sofern für solche staatliche Mittel nicht in Anspruch
genommen werden, ohne staatliche Genehmigung errichten oder abändern.
Landesrechtliche Verbote oder Beschränkungen der Verwendung auswärtiger
Religionsdiener zu einer seelsorgerlichen Tätigkeit finden keine Anwendung
auf die Religionsdiener anerkannter Religionsgemeinschaften. § 8. Die
Aufnahme in eine anerkannte Religionsgemeinschaft, die Zulassung zu deren
Religionshandlungen, sowie die Vornahme einer Taufe, einer kirchlichen
Trauung oder eines kirchlichen Begräbnisses ist von einer Mitwirkung der
Behörden des Staates oder einer anderen Religionsgemeinschaft oder einer
Anzeige bei solchen Behörden unabhängig. § 9. Die Abhaltung von Mis-
sionen der anerkannten Religionsgemeinschaften unterliegt keinerlei gesetz-
licher Beschränkung noch Hinderung. § 10. Religiöse Genossenschaften, Ge-
sellschaften und Vereine aller Art, welche einer anerkannten Religions-
gemeinschaft angehören, bedürfen zu ihrer Gründung und Tätigkeit inner-
halb des Reichsgebietes keinerlei staatlicher oder kommunaler Genehmigung.
Abg. Bachem (Z.) erkennt an, daß in den einzelnen Bundesstaaten
mehrere Beschwerden der Katholiken abgestellt seien, aber namentlich in
Braunschweig und Sachsen beständen noch schwere Mißstände. Solche Be-
nachteiligungen der Katholiken stammten aus der Zeit des „cuius regio
eius religio", seien also mit moderner Auffassung nicht zu vereinbaren.
Ein Angriff auf den Protestantismus liege dem Antrag fern; der Antrag
verlange nur Gleichberechtigung der Konfessionen auf staatlichem Gebiete.
Über die religiöse Toleranz sagt der Redner: Man verlangt Achtung vor
der religiösen Ueberzeugung des anderen. Diese Achtung haben wir den
Andersgläubigen niemals versagt, weil wir völlig anerkennen, daß diese
Überzeugung aus einem ehrlichen Streben nach Wahrheit entspringt. Die
subjektive Wertschätzung der Person des Andersgläubigen soll unter den
bestehenden Gegensätzen nicht leiden. Aber deswegen nun verlangen, wir
sollten auch den objektiven Inhalt dessen, was der andere glaubt, als
richtig anerkennen, das müssen wir als unmöglich ablehnen. In diesem
Sinne wollen und können wir den Begriff religiöse Toleranz unmöglich
auffassen. Der Protestantismus hat den Begriff Religionstoleranz in diesem
Sinne bis zu einem gewissen Grade anerkannt, da er sich grundsätzlich nur
zu subjektiver Wahrheit bekennt. Die katholische Kirche kennt nur eine
objektive Wahrheit, die unabhängig ist von dem, was der einzelne als
Wahrheit anerkennt oder nicht. Sie werden mir zugestehen, daß eine
Religionsauffassung, die nur eine objektive Wahrheit kennt, aus diesem
Grunde alles, was dieser Wahrheit widerspricht, als Irrtum bezeichnen
muß. Nun wendet man ein: Es gibt in Deutschland verschiedene Kon-
fessionen, die alle für sich in Anspruch nehmen, daß sie die göttliche Wahr-
heit besitzen; welche von ihnen im Recht ist, das ist Sache der theologischen
Erörterungen. Gut, wir ziehen aus diesem Tatbestand nur den Schluß:
da diese verschiedenen Religionsauffassungen nun einmal bestehen, so müssen
wir ihnen völlige Freiheit lassen, damit sich der theologische Kampf auf
dem Boden der vollen Gleichberechtigung vollzieht, und wir ziehen ferner
daraus den Schluß, daß der Staat sich in diese Frage nicht einmischen
soll. Wir verlangen also für uns keine religiöse Toleranz, wir sind zu-
frieden, wenn die bürgerliche und staatsrechtliche Toleranz uns gewähr-
leistet ist und zuerteilt wird. („Köln. Volksztg.“) Abg. Henning (kons.)
lehnt den Antrag ab, der trotz der guten Absicht den konfessionellen Hader
stärken werde. Die ungleiche Behandlung der Evangelischen und Katho-