Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Das Deulsche Reih und seine einzelnen Glieder. (Mai 30. 31.) 125 
in der Erwartung, daß bei voller Aufrechterhaltung der althergebrachten 
Zucht und Ordnung die kriegsmäßige Ausbildung, für die das neue Regle- 
ment weiteren Raum schafft, stetig gefördert wird. Es ist untersagt, zur 
Erzielung gesteigerter, äußerlicher Gleichmäßigkeit oder in anderer Absicht 
mündliche oder schriftliche Zusätze zu dem Reglement zu erlassen. Der 
für die Anwendung des Reglements und die Ausbildung gelassene Spiel- 
raum darf keine Einschränkung erfahren. Ich ermächtige jedoch das Kriegs- 
ministerium, etwa notwendige Aenderungen, soweit sie nicht grundsätzlicher 
Natur sind, eintreten zu lassen. 
Döberitz, 29. Mai 1906. Wilhelm. 
30. Mai. (Preußisches Herrenhaus.) Knappschaftsnovelle. 
Offentliches Wahlrecht; christliche Gewerkvereine. 
Vopelius begrüßt die in der Vorlage festgesetzte öffentliche Wahl 
der Knappschaftsältesten. Graf Oppersdorff bedauert den Ausschluß der 
Invaliden von der Wählbarkeit und die öffentliche Wahl, die den Arbeiter 
mißtrauisch machen werde. Die königstreuen Arbeiter würden terrorisiert 
werden. Frhr. v. Manteuffel, Graf Roon, Frhr. v. Durant polemi- 
sieren scharf gegen dies Lob der geheimen Wahl. Handelsminister Dr. Del- 
brück: Die Invaliden seien auf Wunsch des Abgeordnetenhauses aus- 
geschlossen. Ueber die christlichen Gewerkschaften sagt er: Ich komme zu 
der Frage der christlichen Gewerkschaften und bemerke, daß ich es nur mit 
Freuden begrüßen kann, wenn die Arbeiter sich auf einer Grundlage zu- 
sammenfinden, welche sich deckt mit der Auffassung der königstreuen und 
staatserhaltenden Parteien. Ich würde eine derartige Organisation der 
Arbeiter mit Freuden begrüßen, wenn sie in der Lage wäre, ihre Ziele 
auf einer Grundlage zu verfolgen, die sich mit dem Charakter einer kirche- 
und königstreuen Partei deckt. Ich muß aber ausdrücklich betonen, daß 
die Art, wie die christlichen Gewerkschaften ihre wirtschaftlichen Ziele ver- 
folgen, sich nicht deckt mit dem Kaiserhoch, mit dem sie ihre Versamm- 
lungen eröffnen (Sehr richtigl), und mit dem Hoch auf das deutsche Vater- 
land, mit dem ihre Versammlungen geschlossen werden. Ich will mich 
nicht dagegen wenden, daß eine Organisation, welche die Interessen der 
Arbeiter vertritt, Forderungen stellt, von denen sie weiß, daß sie nicht er- 
füllt werden können. Aber die Forderungen müssen doch immerhin so 
formuliert sein, daß sie sich im Rahmen der bestehenden Staats= und 
Gesellschaftsordnung erfüllen lassen, und dürfen nicht so formuliert sein, 
daß sie den Verdacht erwecken, daß eigentlich hier alles gefordert wird, 
was Sozialdemokraten fordern, weil die Vereine sonst zu viel Einbuße in 
ihrer Gefolgschaft erleiden würden. Dazu kommt, daß die Agitationsweise 
der christlichen Vereine über das erforderliche Maß hinausgeht, die wirt- 
schaftlich politischen Ziele der christlichen Arbeitervereine zu erreichen, und 
daß sie geeignet ist, die Autorität zu untergraben. 
Die Novelle wird angenommen. 
30. Mai. Das Preußische Abgeordnetenhaus genehmigt 
den Staatsvertrag zwischen Preußen, Bayern, Baden und Hessen 
wegen der Kanalisierung des Mains von Offenbach bis Aschaffen- 
burg vom 21. April 1906. 
31. Mai. Nach dem Etatsgesetz balanciert der Reichsetat 
mit 2397324105 Mark. Durch Anleihe sind 239038 815 Mark 
aufzubringen.
	        
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