Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

134 Fas Jeuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 27.) 
Danach beabsichtigt die Regierung, wenn nicht besondere unvor- 
hergesehene Umstände eintreten, bei der für den 1. April oder 1. Mai 1907 
geplanten Einführung der Tarifreform die meisten bisherigen Ausnahme- 
tarife, vor allem die Rückfahrkartenermäßigung und die Landesfahrkarten 
aufzuheben. Was die Einführung einer von der Fahrkartensteuer befreiten 
2 Pfennig-Klasse betrifft, so hat die Regierung zunächst geprüft, ob eine 
unbeschränkte Herabsetzung des Satzes der 3. Klasse auf 2 Pfennig möglich 
sei. Sie erachtet aber eine solche Preisermäßigung aus finanziellen Gründen 
für völlig ausgeschlossen. Im übrigen glaubt die Regierung, daß die Ein- 
führung der 4. Klasse dem bayerischen und badischen Projekt, den Fahr- 
preis der 3. Klasse bei Personenzügen auf 2 Pfennig zu ermäßigen, vor- 
zuziehen sei. Vor allem sei sonst der Preisunterschied zwischen der 2. und 
3. Klasse zu groß, und da auch der Einnahmeausfall für die Verwaltung 
viel höher sei als im Falle der Einführung der 4. Klasse, so glaubt die 
Regierung angesichts der schwerwiegenden Bedenken gegen das bayerisch- 
badische Tarifprojekt davon absehen zu sollen, dieses System anzunehmen, 
vielmehr beabsichtigt sie, ungeachtet der Unwahrscheinlichkeit des Zustande- 
kommens der Betriebsmittelgemeinschaft in dem ursprünglich geplanten 
Umfang und trotz des abweichenden Vorgehens der beiden Nachbarverwal- 
tungen, die 4. Klasse einzuführen. Für die erste Zeit soll der Bedarf durch 
Verwendung alter Wagen 3. Klasse, die durch neue besser ausgestattete er- 
setzt werden sollen, gedeckt werden. Später sollen besondere Wagen 4. Klasse 
angeschafft werden. Demgemäß ergeben sich für die württembergischen 
Staatsbahnen folgende kilometrische Grundtaxen: 1. Klasse 7 J (bisher 8 0), 
2. Klasse 4.5 % (bisher 5.3 0), 3. Klasse 3 % (bisher 3.4 0), 4. Klasse 2 3. 
Der Schnellzugszuschlag bisher 1.1 0 pro Kilometer, soll betragen für 1 
bis 75 Kilometer 1. und 2. Klasse 0.50 „-X, 3. Klasse 0.25 „X, für 76 bis 
150 Kilometer 1. und 2. Klasse 1 J/, 3. Klasse 0.50 J(, für über 150 Kilo- 
meter 1. und 2. Klasse 2 J, 3. Klasse 1 X Bei den zusammenstellbaren 
Fahrscheinheften soll bei diesen Fahrscheinen ein kilometrischer Zuschlag für 
die Schnellzüge gemacht werden. („Allg. Ztg.“) 
27. Juni. (Württemberg.) Die Erste Kammer genehmigt 
einen Kommissionsbericht über die Verfassungsfrage. 
Danach verzichtet die Kammer auf die Möglichkeit der Ernennung 
weiterer erblicher Mitglieder, beantragt aber: „Insoweit als standesherr- 
liche Landstandschaftsrechte wegfallen, erhöht sich entsprechend die Höchstzahl 
der nach § 129 Ziff. 3 von dem König auf Lebenszeit zu ernennenden 
Mitglieder.“ In der Auswahl soll der König dabei unbeschränkt sein. 
Mit der Versetzung von 8 Rittern in die Erste Kammer ist die Kommission 
einverstanden. Der Erhöhung der Zahl der berufsständischen Vertreter 
auf 8 stimmt die Kommission nicht zu. Sie beantragt daher: „2 Ver- 
treter des Handels und der Industrie, 2 Vertreter der Landwirtschaft und 
1 Vertreter des Handwerks“ (letzterer war in den bisherigen Beschlüssen der 
Ersten Kammer nicht enthalten). Bezüglich der Zusatzwahl von 17 Proporz- 
abgeordneten in die Abgeordnetenkammer stimmt die Kommission dem Be- 
schluß des anderen Hauses mit der Aenderung zu, daß die 17 Abgeord- 
neten in zwei Landeswahlkreisen gewählt werden, von denen der erste den 
Neckarkreis und den Schwarzwaldkreis umfaßt und 10 Abgeordnete wählt 
und der zweite den Jagstkreis und den Donaukreis umfaßt und 7 Ab- 
geordnete wählt. Mit der Festsetzung des passiven Wahlrechts auf das 
25. Lebensjahr ist die Kommission nunmehr einverstanden. Auch mit dem 
Beschluß der Abgeordnetenkammer, den Wohnsitz im Deutschen Reich für 
sämtliche Mitglieder der beiden Kammern zu verlangen, ist die Mehrheit 
 
	        
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