168 Hes Veuische Reich und seine eintelnen Glieder. (Oktober 3.)
zur Abänderung des Reichstagswahlrechts habe schreiten wollen, also ein
positives, ausführbares Programm nicht mehr gehabt habe. Der Kaiser
habe Deutschland durch die Entlassung vor einer schweren Krisis bewahrt.
Diese Ansicht findet wenig Beifall und wird meist als Verdächtigung Bis-
marcks bezeichnet. (Vgl. „Preußische Jahrbücher“ Bd. 126.)
3. Oktober. (Braunschweig.) Antworten des Reichskanzlers
und des preußischen Ministerpräsidenten auf die Mitteilung der
Resolution des Braunschweiger Landtags:
Homburg v. d. H., 3. Oktober 1906. Dem herzoglich braunschweigisch-
lüneburgischen Staatsministerium beehre ich mich, auf an mich als Reichs-
kanzler gerichtete Schreiben vom 25. vor. Monats zu erwidern, daß ich den
Bundesratsbeschluß vom 2. Juli 1885, durch welchen die Regierung des
Herzogs von Cumberland in Braunschweig als nicht vereinbar erklärt
worden ist mit den Grundprinzipien der Bündnisverträge und der Reichs-
verfassung, für mich so lange als maßgebend gelten muß, als derselbe nicht
durch einen neuen Beschluß des Bundesrates aufgehoben oder abgeändert
worden ist. Einen solchen aufhebenden oder abändernden Beschluß herbei-
zuführen sehe ich mich nicht in der Lage. Demgemäß muß die Möglich-
keit der Uebernahme der Regierung des Herzogtums von Braunschweig
durch den Herzog von Cumberland unter der obwaltenden Sachlage außer
Betracht sein. Es ergibt sich aus dem Vorstehenden, daß ich eine weitere
Antwort auf die von dem herzoglich braunschweigisch-lüneburgischen Staats-
ministerium an mich gerichteten Fragen, welche die Möglichkeit einer Re-
gierung des Herzogs von Cumberland in Braunschweig zur Voraussetzung
haben, zurzeit nicht zu geben vermag. Die in dem Schreiben des herzog-
lichen Staatsministeriums, wie auch in der darin mitgeteilten Resolution
des braunschweigischen Landtags zum Ausdruck gebrachte reichstreue Ge-
sinnung geben mir die Zuversicht, daß das herzogliche Staatsministerium
auch bei der ihm jetzt obliegenden Regelung der Verhältnisse im Herzogtum
die allgemeinen Reichsinteressen im Auge behalten werde. Der Reichs-
kanzler an das herzoglich braunschweigisch-lüneburgische Staatsministerium
Braunschweig.
Homburg v. d. H., 3. Oktober 1906. Dem herzoglich braunschweigisch-
lüneburgischen Staatsministerium beehre ich mich auf das an das könig-
liche Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten gerichtete Schreiben
vom 25. September mitzuteilen, daß die in dem Bundesratsbeschluß vom
2. Juli 1885 aufgeführten Gründe, aus denen damals die Regierung des
Herzogs von Cumberland für nicht vereinbar erklärt worden ist mit den
Grundprinzipien der Bündnisverträge und der Reichsverfassung, nach der
Ueberzeugung der königlichen Staatsregierung noch heute Geltung haben.
In dem durch den früheren Beschluß gekennzeichneten Verhältnis des Her-
zogs zu Preußen ist eine entscheidende Aenderung nicht eingetreten. Auch
bestehen noch immer, und zwar unter mindestens stillschweigender Duldung
des Herzogs, Bestrebungen, die sich in ihrem Endziel auf die preußische
Provinz Hannover erstrecken. Es kann Preußen nicht zugemutet werden,
daß es in den benachbarten Bundesstaaten eine welfische Regierung dulde,
durch die der preußische, unter dem Schutz der Reichsverfassung stehende
Besitzstand gefährdet werden würde. Die königliche Staatsregierung würde
hiernach einem etwaigen Antrag auf Aufhebung oder Abänderung des
Bundesratsbeschlusses vom 2. Juli 1885 ihre Zustimmung versagen müssen.
Sie glaubt auch, zurzeit nicht in der Lage zu sein, ihrerseits Schritte zu
unternehmen, um eine Aenderung des in dem Bundesratsbeschluß gekenn-
zeichneten Verhältnisses des Herzogs zu Preußen herbeizuführen. Der