170 J0 Veuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 10.)
zwischen Vertretern der Partei und der Jungliberalen wird folgender An-
trag mit 580 gegen 20 jungliberale Stimmen angenommen: „Der Ver-
tretertag hat durch die aufklärenden und erschöpfenden Darlegungen der
Reichtagsabgeordneten die Ueberzeugung gewonnen, daß die Reichstags-
fraktion sich bei den Verhandlungen über die Reichsfinanzreform in einer
äußerst schwierigen Lage befand und bestrebt war, diese hochwichtige Frage
zum Wohle des Vaterlandes zu lösen. Durch diese Anerkennung erachtet
der Vertretertag die in den jungliberalen Kreisen zutage getretenen Mei-
nungsverschiedenheiten für ausgeglichen und erwartet von alt und jung,
daß sie baldigst in die Vorbereitungen für die kommenden Reichstags-
wahlen eintreten.“
Ferner wird nach einem Referat des Abg. Patzig über Mittel-
standspolitik beschlossen, das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb zu
revidieren und das Versicherungswesen auf die Privatangestellten aus-
zudehnen.
In Presse und Vereinen wird die Diskussion zwischen Partei und
Jungliberalen, namentlich in Süddeutschland, fortgesetzt, so daß die gegne-
rischen Parteien behaupten, der Zwiespalt sei nicht beseitigt, sondern werde
auf dem nächsten Parteitag stärker hervortreten.
10. Oktober. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ ver-
öffentlicht folgenden Briefwechsel des Herzogs von Cumberland mit
dem Kaiser und dem Reichskanzler:
I. Schreiben des Herzogs an den Kaiser: Durchlauchtigster, groß-
mächtigster Kaiser und König, freundlich lieber Vetter und Bruder! Die
Resolution, welche die Landesversammlung des Herzogtums Braunschweig
zur Neuordnung der Regierungsverhältnisse des Herzogtums am 25. Sep-
tember angenommen und das herzogliche Staatsministerium mir zur Kennt-
nis gebracht hat, gibt mir Anlaß, an Ew. Kaiserliche und Königliche Maje-
stät mit einer freundlichen Bitte mich zu wenden. Es ist mein Wunsch,
eine endgültige Ordnung der Regierungsverhältnisse im Herzogtum Braun-
schweig auf dem Wege herbeigeführt zu sehen, daß ich und mein ältester
Sohn, Prinz Georg Wilhelm, unsere Rechte auf die Regierung im Herzog-
tum auf meinen jüngsten, nach dem braunschweigischen Hausgesetz voll-
jährigen Sohn, den Prinzen Ernst August, übertragen, und daß dieser als
Herzog die Regierung übernehme. Mir und meinem ältesten Sohne, sowie
dessen Deszendenz würde die Sukzession in Braunschweig für den Fall
vorbehalten bleiben, daß die Linie meines jüngsten Sohnes erlöschen sollte.
Der Verzichtleistung auf den braunschweigischen Thron würden ich und
mein ältester Sohn entsprechen, sobald Gewißheit besteht, daß der Regierungs-
übernahme meines jüngsten Sohnes keine Hindernisse entgegenstehen. Diese
meine Absicht und meinen Wunsch bitte ich dem Allergnädigsten Wohl-
wollen Eurer Kaiserlichen und Königlichen Majestät empfehlen zu dürfen.
Mit der Versicherung der vollkommensten Hochachtung und Freundschaft
verbleibe ich Ew. Kaiserlichen und Königlichen Majestät freundwilliger
Vetter und Bruder Ernst August. Gmunden, 2. Oktober 1906.
II. Schreiben des Herzogs von Cumberland an den Reichskanzler:
Euer Durchlaucht beehre ich mich, eine Abschrift des Schreibens, welches
ich an des Deutschen Kaisers und Königs von Preußen Moajestät wegen
Uebernahme der Regierung des Herzogtums Braunschweig gerichtet habe,
zur geneigten Kenntnis hierüber zu übersenden und Eure Durchlaucht als
Vorsitzenden des Bundesrats zu bitten, vom Inhalte des Schreibens dem
Bundesrat Mitteilung machen zu wollen, sobald Eure Durchlaucht das für
angezeigt halten. Indem ich die freundliche Bitte ausspreche, daß Eure