Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 19. 21.) 11
man müsse mit dem Wechsel der leitenden Personen in den Kolonien vor-
sichtig verfahren, um nicht unter den Schwarzen, die von den Dingen in
Ost- und Südwestafrika gehört hatten, die Neigung zur Widersetzlichkeit zu
stärken, wird als die Besorgnis vor einem drohenden Aufstande aufgefaßt.
Der Prinz tritt dieser Deutung entgegen, er halte nur Vorsicht und Wach-
samkeit für nötig. — Die Vorlage geht an die Budgetkommission.
19. Januar. (Reichstag.) Gesetzentwurf über Pensionierung
der Offiziere und Versorgung der Unterklassen des Heeres und der
Marine. — Tod Richthofens. Reichstag und Regierung.
Nach einer kurzen Begründung der Vorlage, die in der vorigen
Session den Reichstag schon beschäftigt hat, durch den preuß. Kriegsminister
v. Einem erklärt Abg. Graf Hompesch (Z.): Ich habe mitzuteilen, daß
meine politischen Freunde es nicht für angezeigt halten, sich bei der ersten
Beratung dieses Gesetzentwurfs an der Debatte über den materiellen In-
halt desselben zu beteiligen. Die Gründe zu suchen, die uns zu diesem
etwas ungewöhnlichen Verfahren veranlassen, überlasse ich der Reichs-
regierung und Ihnen, meine Herren. Ich beschränke mich darauf, zu be-
antragen, den Gesetzentwurf, gleich wie im vorigen Jahre, der Budget-
kommission zu überweisen Abg. Graf Oriola (nl.) bedauert, daß der
Reichstag durch die schnelle Schließung im vorigen Jahre verhindert worden
sei, das Gesetz zu verabschieden. Die Regierung habe hierdurch alle frühere
Arbeit zerstört. Er wünscht, daß das Gesetz rückwirkende Kraft erhalte.
Schatzsekretär Frhr. v. Stengel: Die rückwirkende Kraft könne sich aus
Mangel an Mitteln nur auf die Kriegsteilnehmer erstrecken. — Das Gesetz
wird an die Budgetkommission verwiesen; ein Antrag Oriola, eine be-
sondere Kommission zu bilden, um das Gesetz zu beschleunigen, wird abgelehnt.
Ueber die Beteiligung des Reichstags bei der Leichenfeier für den
Staatssekretär v. Richthofen erklärt Präsident Graf v. Ballestrem: Ob-
wohl ich bis jetzt von seiten der Reichsregierung keine offizielle Mitteilung
über das höchst bedauerliche Ableben des Staatssekretärs Frhrn. v. Richt-
hofen erhalten habe (Hört! hört!), möchte ich doch vorschlagen, da ich aus
den Zeitungen weiß, daß die Leichenfeierlichkeit für diesen ausgezeichneten
und liebenswürdigen Staatsmann am Sonnabend nachmittag um 3 Uhr
stattfindet, die nächste Sitzung erst abzuhalten: Montag 1 Uhr.
21. Januar. (Berlin.) Wahlrechtsdemonstration der Sozial-
demokratie. Preßdiskussion.
Die Leitung der sozialdemokratischen Partei beruft für Sonntag
den 21. Januar vormittags 31 Versammlungen ein, um gegen das preu-
ßische Wahlrecht zu demonstrieren und den Beginn der russischen Revo-
lution (22. Januar 1905) zu feiern. Straßenumzüge, ein Zug vor das
Schloß sollen sich anschließen. — Die Regierung trifft umfassende Vor-
sichtsmaßregeln gegen Ausschreitungen durch Ansammlung von Truppen
und Polizei im Schloß und den wichtigsten Straßen und erklärt durch
öffentlichen Anschlag, daß jeder Ausschreitung mit vollem Nachdruck ent-
gegengetreten werde. Angesichts dieser Vorbereitungen werden die Demon-
strationen unterlassen, die Versammlungen verlaufen ruhig.
Die Haltung der Regierung wird im allgemeinen von der bürger-
lichen Presse gebilligt; sie habe durch die Gestattung der Versammlungen
und gleichzeitige Bereitstellung gewaltiger Machtmittel Ausschreitungen
verhindert. Die Behauptung der sozialdemokratischen Presse, die Regierung
habe Zusammenstöße gewünscht, um die Arbeiter niederwerfen zu können,