186 Nas Veuische Reich und seine einzelnen Glieder. (November 14./15.)
früheren Jahren vor meiner Zeit gelegentlich gesagt, daß wir es ihnen
überlassen müßten, wie sie sich im Mittelmeer und speziell in Afrika mit
ihren dortigen Nachbaren auseinandersetzen wollten. Als nun die Art und
Weise, wie unsere vertragsmäßigen Rechte in Marokko ignoriert wurden,
uns zum Vorgehen zwang und sich daraus schließlich die Konferenz von
Algeciras entwickelte, kam Italien in eine nicht leichte Situation. Die
italienische Regierung hat in dieser Lage uns gegenüber korrekt gehandelt,
nicht nur indem sie uns rechtzeitig informierte hinsichtlich der Grenzen der
ihr in Algeciras möglichen Unterstützung, sondern auch, indem sie inner-
halb dieser Grenzen die von uns vertretenen Grundsätze und angestrebten
Ziele nach Möglichkeit förderte. Als Beweis hierfür will ich ein Telegramm
verlesen, das ich in einem kritischen Augenblick der Konferenz von unserem
ersten Delegierten Herrn v. Radowitz erhielt: Marquis Visconti-Venosta,
telegraphierte er mir am 11. Märzz, hat in letzter Zeit sich besonders be-
müht, außerhalb der Konferenzsitzungen auf die Franzosen in der Bank= und
Polizeifrage im Sinne unseres Verlangens einzuwirken, was sicher von
Nutzen gewesen ist und weiter sein kann. Es ist mehr darin von ihm
Vorteil zu ziehen als wie von seinem direkten Eingreifen in die Konferenz-
verhandlungen, das er möglichst vermeidet. Bei diesem Anlaß will ich
übrigens noch hervorheben, daß alles, was erzählt wird über Umtriebe
deutscher Agenten in Tripolis oder über eine deutsche Expedition, die in
das Hinterland von Tripolis vorbereitet würde, Erfindungen sind, die
lediglich bezwecken, Mißtrauen zwischen uns und Italien zu säen. Um
gleichzeitig auch in Wien gegen uns Stimmung zu machen, wurde diese
Erfindung hier und da mit dem Zusatze verbrämt, daß wir eine direkte
Verbindung zwischen Kamerun, Tripolis und Triest herstellen wollten
(Große Heiterkeit), das bei diesem Anlaß von Deutschland annektiert werden
würde. So schlug man nämlich zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Lüge
mit Tripolis war auf Italien berechnet und sollte Italien gegen uns miß-
trauisch machen. Der Unsinn mit Triest war auf die Oesterreicher ge-
münzt. Natürlich ist von einer solchen deutschen Expedition in Tripolis
nicht die Rede gewesen. Wir haben weder den Wunsch noch eine Veran-
lassung, uns im Hinterlande von Tripolis oder auch von Tunis politisch
zu betätigen. Was dieser oder jener unverantwortliche italienische Politiker
gegen den Dreibund sagt, möchte ich nicht überschätzen. In unverant-
wortlicher Stellung sagt auch anderswo mancher manches, was er als
Minister nicht gleich in Taten umsetzt. (Sehr wahr! Heiterkeit.) Wäh-
rend der sechs Jahre, als ich die Ehre hatte, das Reich als Gesandter in
Rumänien zu vertreten, einem Lande und einem Volke, die mir lebhafte
Sympathien und aufrichtige Anhänglichkeit eingeflößt haben unter der weisen
Regierung des Königs Karol, eines der pflichttreuesten und tüchtigsten Für-
sten, die mir vorgekommen sind, also ich sage, in jenen Jahren meiner
Tätigkeit in Bukarest pflog ich Freundschaft mit einem hervorragenden
Mitgliede der rumänischen Kammer, der mir für die Zeit, wo er erst
Minister sein würde, allerlei schöne Versprechungen machte. Als er nun
endlich Minister wurde und gar keine Anstalten machte, seine Zusagen ein-
zulösen, erinnerte ich ihn schließlich natürlich in zartfühlender Weise —
Sie kennen ja meine Art (Große Heiterkeit) — an seine Zusagen. Da
antwortete mir der treffliche Mann mit dem Brustton wahrer Ueberzeugung:
„Sie glauben nicht, mein werter Herr, wie man seine Ansichten ändert,
sobald man Minister wird.“ (Stürmische, anhaltende Heiterkeit.) Auf
französisch klang das noch hübscher: „Vous ne sauriez croire, mon cher
Monsieur, a qduel point le Gouvernement change les idées d'’un homme.“
„Sie können sich gar nicht vorstellen, lieber Herr, wie von Grund aus das