188 NVas Veuische Reich und seine einjeluen GSlieder. (November 14./15.)
haben mit den dauernden Traditionen der deutschen Politik, von denen
ich niemals abgewichen bin. Allerdings kann ich nicht mit dem Ausdruck
meines Erstaunens darüber zurückhalten, was ja auch der Herr Abg. Basser-
mann hervorgehoben hat, daß eine politisch so geschulte und politisch so
intelligente Nation wie die ungarische uns so etwas überhaupt hat zutrauen
können. Wie war das möglich nach allem, was man in Budapest weiß
über Ausgangspunkt, Ziel und Charakter des Dreibundvertrages, den ein
Ungar, Graf Giula Andrassy, abgeschlossen hat, nach dem Kaiserbesuch in
Pest vom September 1897, bei dem ich zugegen war, nach allem, was ich
ier so oft in der Abwehr wie spontan und motu proprio über unser Ver-
sünmn zu Ungarn ausgeführt habe! Denn eine Einmischung in die Dif-
erenz zwischen Zisleithanien und Transleithanien zugunsten von Trans-
leithanien, das kann man unmöglich von uns erwartet haben. Gegenüber
diesem Konflikt war für uns nur Reserve möglich, und die haben wir ein-
gehalten. Wir werden sie weiter einhalten, denn gute Beziehungen zu
Oesterreich-Ungarn entsprechen dem deutschen Interesse heute wie in den
Tagen des Fürsten Bismarck. Die Erhaltung der vollen Unabhängigkeit,
der ganzen Machtstellung der Donaumonarchie ist für Deutschland ebenso
nützlich und ebenso notwendig, wie es die Erhaltung der deutschen Macht-
stellung für das Donaureich ist, für Oesterreich wie für Ungarn, auch für
Ungarn, auch für die Magyaren und das Magyarentum. Ich bin über-
zeugt, daß, wenn Déak und Andrassy noch lebten, beide mir recht geben
würden. Was wir wünschen, ist das Blühen und Gedeihen der österreichisch-
ungarischen Monarchie und die Entwicklung ihrer beiden Teile, je nach
Bedürfnis und Charakter.
Bevor ich auf unsere Beziehungen zu Rußland eingehe, muß ich
meinem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß immer wieder versucht
wird, uns die Absicht unterzuschieben, uns in die inneren russischen Ver-
hältnisse einzumischen. Davon ist keine Rede. Wir intervenieren auch in
Russisch-Polen nicht. Sollte der Brand über unsere Grenzen greifen, so
werden wir bei uns das Feuer zu löschen verstehen, daran wird uns nie-
mand verhindern. An fremder Löscharbeit beteiligen wir uns nicht. Die
Behauptung, als ob Deutschland an einem Abkommen beteiligt wäre, wobei
die bei dem Verlauf der Dinge in Rußland angeblich zu erwartende Ent-
stehung eines autonomen Polens verhindert werden solle, ist falsch. Ein
solches Abkommen, sei es zwischen uns einerseits und Rußlands anderer-
seits oder zwischen uns und Oesterreich-Ungarn einerseits und Rußland
andererseits, existiert nicht. Alle Angaben über irgendwelche deutsche Ein-
mischung im eigentlichen Rußland oder in Russisch-Polen oder auch in den
Ostseeprovinzen, auf Grund von Abmachungen mit fremden Regierungen
oder mit fremden Höfen, von Minister zu Minister oder von Monarch zu
Monarch sind ohne Ausnahme unwahre und tendenziöse Erfindungen. Wir
fühlen gar nicht das Bedürfnis, irgendwo den Gendarm zu spielen. Das
ist ein undankbares Geschäft, wie das Rußland selbst nach seiner Inter-
vention in Ungarn 1849 empfunden hat. Das ist unter Umständen ein
gefährliches und folgenschweres Unternehmen, wie das Oesterreich und
Preußen bei ihrer Intervention in Frankreich 1792 erfahren haben (Sehr
wahr! links), welche die französische Revolution elektrisierte und in ihrer
Folge das erste französische Kaiserreich mit seinen Eroberungszügen herbei-
führte. Wir wünschen, daß es der russischen Regierung und dem russischen
Volke gelingen möge, einen Ausweg aus ihren gegenwärtigen inneren
Schwierigkeiten zu finden. Wir wünschen eine Entwicklung der russischen
Verhältnisse, durch welche Rußland in gemeinsamer Arbeit von Regierung
und Volk als Großmacht und als einheitliches Reich erhalten bleibt. Denn