DVas Denisihe Reich und seine einzelnen Glieder. (November 14./15.) 193
eines Mannes wie Bismarck besteht eben nicht in sklavischer Nachahmung,
sondern in der Fortbildung, selbst wenn diese hier und da zu einem Gegen-
satz führt. Und darum richte ich an alle, die es angeht, die Mahnung,
es nicht zu machen wie Lots Weib, die, weil sie nur nach rückwärts sah,
zur Salzsäule wurde. (Heiterkeit.) Als praktische Politiker, als Männer,
welche die Aufgaben des Tages zu lösen haben, müssen wir mit der Tat-
sache uns abfinden, daß wir keinen Fürsten Bismarck mehr haben. Der
Name des Fürsten Bismarck, die Erinnerung an das, was Fürst Bismarck
uns war, wird für alle Zeiten als Feuersäule herziehen vor der Nation,
wie ich das vor seinem Denkmal gesagt habe, das da draußen steht. Sein
Name bleibt ein dauernder Besitz, ein Stolz, eine Gewähr der Fortdauer,
ein Vorbild, ein Wahrzeichen, eine Mahnung, ein Trost für unser Volk
gerade in sorgenvollen oder matten Tagen. Aber die Nation muß die
Kraft in sich finden, auch ohne einen solchen Titanen auszukommen, wie
ihn die Götter nur sehr selten, einmal alle hundert Jahr, einem Volke
schenken. Denn wenn der einzelne und auch der größte Genius sterblich
ist, so ist die Nation unsterblich. Ihr Dasein hat mit dem Tode des
großen Kanzlers nicht geendet. Und als Patrioten müssen wir, jeder an
seinem Teil und nach seinen Kräften dahin wirken, daß das Werk des
großen Kanzlers erhalten bleibe. Das gilt für mich und das gilt für
alle, die auf nationalem Boden stehen. (Lebhaftes Bravol)
Es ist ja namentlich der alldeutsche Verband, der uns die Bismarck-
schen Stiefel und den Bismarckschen Pallasch vorrückt. Meine Herren, ich
weiß wohl, daß die Bestrebungen des alldeutschen Verbandes das Gute
haben, daß sie das Nationalgefühl wach zu erhalten suchen, indem sie dem
Hang des deutschen Philisters zum verschwommenen Kosmopolitismus wie zu
beschränkter Kirchturmspolitik entgegenwirken. Ich bedaure für meine Person,
daß der Vorsitzende des Verbandes nicht wieder in dies hohe Haus gekommen
ist. Ich weiß auch, daß außer ihm manche warmherzigen Patrioten diesem
Verbande angehören. Aber für die praktische Politik kommt es noch mehr auf
Klarheit des Kopfes als auf die Wärme und Güte des Herzens an. Und das
Herz des Patrioten soll sich nicht zeigen in unterschiedslosem Räsonieren auf
alle Fremden, auf Engländer und Russen, auf Nordamerikaner und Brasilianer,
auf Italiener und Ungarn und noch weniger in kühnen Zukunftsträumen,
welche die Erfüllung der Aufgaben der Gegenwart erschweren und überall
Mißtrauen gegen uns erwecken. (Sehr wahrl) Das aber gebe ich voll-
kommen zu, daß einseitige Avancen und unerbetene Aufmerksamkeiten kein
taugliches Mittel sind, um ungerechte Angriffe abzuwehren und die Welt-
stellung der Nation zu wahren. Bei unruhigem Empressement kommt
selten was Gutes heraus. (Sehr richtig!) Korrekt, aber nicht überschweng-
lich, höflich, aber nicht sich klein machen oder gar sich wegwerfen. Bu-
stimmung.) Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen. (Heiterkeit.)
Bevor ich nun auf unsere angebliche Isolierung komme, will auch ich auf
eine Erscheinung eingehen, auf die schon von einer anderen Stelle hin-
gedeutet wurde und die infolge dieses Hinweises neuerdings viel erörtert
worden ist. Es ist begreiflich, wenn die Sozialdemokratie mit der Feder
und mit dem Mund bestrebt ist, Reichsverdrossenheit zu züchten. Das
liegt in ihrem Programm, das liegt in ihrem System. Was aber weniger
verständlich ist, das ist der Eifer, mit dem Nichtsozialdemokraten hinter
allem her sind, um unsere Zustände schwarz in schwarz zu malen. (Heiter-
keit.) Wenn ich mich gegen solchen Pessimismus wende, so will ich natür-
lich nicht fauler Ruhe oder eitler Selbstgefälligkeit oder blindem Optimis-
mus das Wort reden. Und ebensowenig soll das Recht und der Nutzen
der öffentlichen Kritik bestritten werden, die zu allen Zeiten notwendig ist
Europäüscher Geschichtskalender. XI VII. 13