Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Das Feesche Reich und seine einzeluen Glieder. (Nov. 28./Dez. 4.) 203 
hofen, mir als Unterstaatssekretär zur Seite stand, hätte ich gern einen 
Mann des praktischen Erwerbslebens an die Spitze unserer Kolonialverwal- 
tung gestellt. Die Verhandlungen, die damals in meinem Auftrage in 
Hamburg und Bremen geführt wurden, blieben erfolglos. Ein angesehener 
hanseatischer Kaufmann ließ mir damals sagen: bei Tage verdiene ich Geld 
an der Börse. Mittags fahre ich mit zwei schönen Füchsen nach meinem 
Landhaus, und das soll ich mit der Schinderei und den Aufregungen in 
der Wilhelmstraße vertauschen? (Große Heiterkeit.) Später bin ich auf 
meinen Gedanken zurückgekommen. Damals habe ich den Direktor des 
Norddeutschen Lloyd Wiegand sondiert, der sich aber aus wirtschaftlichen 
Gründen von seinem Amte nicht trennen konnte. Es freut mich, daß es 
mir endlich gelungen ist, einen Gedanken zu verwirklichen, den ich für 
gesund und für lebensfähig halte. Dieses hohe Haus aber bitte ich, dem 
neuen Herrn in der Kolonialverwaltung mit Vertrauen entgegenzukommen, 
denn bei vollem gegenseitigen Vertrauen lassen sich die Aufgaben lösen, 
die uns auf kolonialpolitischem Gebiet gestellt sind. Diese Aufgaben be- 
stehen nicht nur in der wirtschaftlichen Erschließung unserer Kolonien, es 
gilt auch, augenscheinliche Mißstände in der Kolonialverwaltung zu besei- 
tigen. Worin diese Mißstände bestehen, brauche ich nach den Ereignissen 
dieses Sommers nicht klarzulegen. Niemand kann es aufrichtiger bedauern 
als ich, der verantwortliche Leiter der Reichsgeschäfte, daß einige der gegen 
die Kolonialverwaltung erhobenen Beschwerden und Anklagen sich als be- 
gründet herausgestellt haben. Ich bin mir aber bewußt, keine Vertuschungs- 
politik betrieben zu haben, sondern daß ich eingeschritten bin, sobald sie zu 
meiner Kenntnis gelangt waren. Man hat mir vorgeworfen, ich hätte 
rascher zugreifen und schneller die Untersuchung gegen die schuldigen Be- 
amten anordnen sollen. Man hat insbesondere gesagt, daß ein Beamter 
Pöplau schon 1904 und 1905 Anzeigen an mich erstattet hätte gegen Be- 
amte, denen keine Folge gegeben worden wäre. Meine Herren, der Beamte 
Pöplau hat sich schwerer Disziplinarvergehen schuldig gemacht, als er dazu 
überging, unter grober Verletzung seiner Dienstpflicht amtliche Schriftstücke 
Dritten mitzuteilen. Es mußte die Disziplinaruntersuchung gegen ihn 
eingeleitet werden. Der Ausgang dieser Untersuchung konnte auch die 
beste Aufklärung darüber bringen, ob das von dem Beamten Pöplau vor- 
gebrachte Belastungsmaterial zutreffend sei. Deshalb wurde der Ausgang 
dieser Disziplinaruntersuchung abgewartet, bevor ein Entschluß gefaßt wurde 
und gegen die verdächtigten Beamten eingeschritten werden konnte. Durch 
Erkenntnis des Kaiserlichen Disziplinarhofes vom 2. April 1906 ist gegen 
Pöplau auf Entfernung aus dem Amte erkannt worden. In dem rteil 
ist festgestellt, daß erstens der Angeschuldigte von amtlichen geheimen Schrift- 
stücken einen die Amtsverschwiegenheit verletzenden Gebrauch gemacht hat, 
zweitens die seiner vorgesetzten Behörde schuldige Achtung verletzt, drittens 
gegen Beamte der Kolonialverwaltung böswillig und leichtfertig unwahre 
Beschuldigungen erhoben hat. (Hört, hört!) Die Achtungsverletzung ist 
in verschiedenen Eingaben des Angeschuldigten an mich gefunden worden. 
Es heißt in den Entscheidungsgründen wörtlich: „Der Angeschuldigte hat 
dem Reichskanzler mit der Veröffentlichung angeblicher Mißstände gedroht, 
um ihn seinen Ansprüchen geneigt zu machen. Dadurch hat er die Achtung 
vor seinen Vorgesetzten verletzt.“ Sie werden mir zugeben, daß die An- 
gaben dieses Beamten nicht von vornherein Beachtung und volle Glaub- 
würdigkeit verdienten. Es ist mir aber auch vorgeworfen worden, ich wäre 
nicht gegen die Firma Tippelskirch eingeschritten, welche Sättel, Stiefel 
und Mäntel lieferte. (Große, fortdauernde Unruhe auf der Linken und 
Heiterkeit.) Ich frage Sie, meine Herren, ob es einen vernünftigen
	        
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