208 Das Neuische Reich und seine einjeluen Glieder. (Nov. 28./Dez. 4.)
getäuscht, daß ich — ich wage das harte Wort — für einen Optimisten
gehalten werden würde. (Heiterkeit.) Es ist mir bekannt, daß nach viel-
fach herrschender Stimmung alles Günstige, was zu berichten ist, mit Miß-
trauen aufgenommen wird, und daß es hier und da sogar erwünscht ge-
wesen wäre, wenn ich lediglich mit dem eisernen Besen, den man mir
liebenswürdigst zur Verfügung gestellt hat, und mit einem Topf schwarzer
Farbe hier erschienen wäre. Ich meine, es würde meiner und der Nation
wenig würdig sein, wenn ich nicht dieser meiner Ueberzeugung, auch wenn
sie von bisher landläufigen Ansichten abweicht, hier gebührenden Ausdruck
gäbe, selbst auf die Gefahr hin, mißverstanden zu werden. Ich bin mir
hierbei meiner Verantwortung durchaus bewußt, besonders gegenüber den-
jenigen, die mir ihr Vertrauen entgegengebracht haben. — Der Redner
geht näher auf die Ziffern der Denkschrift ein, rechtfertigt deren rech-
nerische Grundlagen und fährt fort: Ich werde hoffentlich Gelegenheit haben,
die einzelnen Kolonien selbst zu besuchen, nicht etwa weil ich glaubte, mir
aus einem verhältnismäßig kurzen Besuch eine große koloniale Weisheit
aneignen zu können, sondern weil ich es für notwendig halte, an Ort und
Stelle nicht mit einzelnen, sondern mit allen Personen, mit der Regierung,
mit den Soldaten, mit den Privaten denjenigen Kontakt zu bekommen,
ohne den eine verständige Kolonialverwaltung ihre Wünsche nicht durch-
setzen kann. Erst dann wird man dort Vertrauen zur Zentralleitung haben
und sich davon überzeugen, daß in Berlin nicht alles vom grünen Tisch
und mit dem großen Tintenfaß gemacht wird; dann wird die Einheit der
Verwaltung in den Kolonien hergestellt sein, woran es in der Vergangen-
heit sehr stark gefehlt hat. (Sehr wahr! rechts.) Ich komme nun zu dem
vorliegenden Nachtragsetat. Die verbündeten Regierungen haben sich ver-
anlaßt gesehen, Ihnen noch einmal diese Vorlage zur verfassungsmäßigen
Genehmigung zugehen zu lassen, weil sie den dringenden Wunsch haben,
daß die Bahn bis zum Endpunkt Keetmanshoop ausgebaut werde, die im
Mai abgelehnt wurde. Die damaligen Vorgänge sind ja bekannt. Die
verbündeten Regierungen erkennen aber gern an, daß durch die seiner-
zeitige Ablehnung, abgesehen von den jetzt erhöhten Kosten für das Oberbau-
material, eine sehr wesentliche Einbuße für das Reich nicht entstanden ist.
Die Linie ist jetzt fertig bis Kubub, und es darf der Bauleitung die An-
erkennung nicht versagt werden, daß sie unter voller Berücksichtigung der
Wünsche des Reiches, der militärischen und zivilen Autoritäten in Südwest-
afrika ihre Verpflichtungen in vollem Umfange erfüllt hat und stellenweise
darüber hinaus gegangen ist. Da sich das Beamtenpersonal wie die Ar-
beiter auf der Strecke befinden, so würde der Vorbau unmittelbar beginnen
können, sobald das notwendige Material herbeigeschafft ist. Es soll nicht
verschwiegen werden, daß von militärischer Seite öfters der Wunsch aus-
gesprochen worden ist, daß zu Lasten der Expeditionskosten noch vor Zu-
sammentritt dieses Hohen Hauses weitergebaut werden möge. Die ver-
bündeten Regierungen haben sich hierzu nicht für befugt erklärt. Dagegen
hat die Firma Lenz sich bereit erklärt, auf eigenes Risiko und eigene Kosten
das für den Vorbau notwendige Material auf sich zu nehmen. Die Vor-
lage sieht einen Ausgabebedarf von 21½ Millionen vor. Ueber die Not-
wendigkeit der Bahn hat sich auch die Denkschrift des Generalstabes aus-
gesprochen. Es entstand die Frage, ob bei Einstellung der Feindseligkeiten
gegen die Hottentotten im gegenwärtigen Stande ein weiteres Zurücknehmen
der Truppen möglich sei. Die verbündeten Regierungen haben diese Frage
verneinen zu müssen geglaubt. Das Aufgeben von Kolonialkriegen haben
alle kolonisierenden Nationen zu allen Zeiten bis auf ganz verschwindende
Ausnahmen vermieden. Die Weißen können ihre Autorität in den Kolonien