Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Das Dentsqhe Reich und seine einzelnen GSlieder. (Dezember.) 227 
hat nichts festgestellt werden können. Richtig ist, daß beim Jubiläum des 
verstorbenen Papstes nach der allgemein und auch von anderen Höfen und 
Regierungen beobachteten Sitte ein Jubiläumsgeschenk gemacht worden ist, 
das in einem künstlerisch ausgeführten Schmuckstück bestand." 
Dezember. Wahlaufrufe. 
Der Aufruf der konservativen Partei: Der Reichstag ist aufgelöst, 
weil er der Regierung nicht die Truppen und Mittel bewilligte, die eine 
energische und völlige Unterdrückung des Aufstandes in Deutsch-Südwest- 
afrika erfordert. Zum ersten Male ist die Reichstagsauflösung also auch 
aus Gründen erfolgt, die in das Gebiet der auswärtigen Politik, der 
Wahrung unserer gewaltig gewachsenen überseeischen Interessen gehören. 
Mit gerechter Entrüstung hat der Reichskanzler vor der entscheidenden Ab- 
stimmung der Opposition zugerufen: „Soll sich das deutsche Volk kleiner 
zeigen, soll das deutsche Volk kleiner dastehen als andere Völker?“ Das 
ist die Frage, auf die das deutsche Volk selbst am 25. Januar Antwort 
geben soll. Denn das Deutsche Reich, das noch vor drei Jahrzehnten fast 
allein auf seine Großmachtstellung in Europa angewiesen war, hat heute 
Rücksicht zu nehmen nicht nur auf seinen Kolonialbesit, sondern auch auf 
seine nach Milliarden zu schätzenden überseeischen Interessen. Wir Kon- 
servativen aber können und werden die Reichsregierung nicht im Stiche 
lassen in ihrer Aufgabe, des Vaterlandes Ehre, Macht und nationale Würde 
zu wahren und durchzusetzen, sei es zum Schutze des Deutschen Reiches 
selbst, sei es zu dem seiner teuer erkauften, mit dem Blute zahlreicher 
Söhne unseres Landes tapfer verteidigten Kolonien. Denn deren wirt- 
schaftliche Erschließung und Besiedelung ist nur unter dieser Vorbedingung 
erreichbar. Nur dann können wir von einer, den Verhältnissen jener 
Länder angepaßten, zielbewußten und geordneten Verwaltung erwarten 
und hoffen, daß sie, unseren finanziellen Mitteln Rechnung tragend, die 
Entwicklung unserer Kolonien zum Nutzen des deutschen Mutterlandes im 
Rahmen der verfassungsmäßigen Verantwortlichkeit der Regierung wahr- 
nimmt und fördert. Wir lehnen unzulässige Eingriffe in diese Verant- 
wortlichkeit, insbesondere in die Kriegführung und die Kommandogewalt 
über die bewaffnete Macht ab und dulden eine Nebenregierung dabei nicht, 
von welcher Seite oder parlamentarischen Partei dies versucht werden möge. 
Wir wünschen eine kraftvolle Regierung und eine zielbewußte, klare Politik 
im Innern wie nach außen. Wir wählen also in den Reichstag auch nur 
solche Männer, die treu bleiben unserer nationalen Aufgabe der Erhaltung 
einer starken militärischen Macht zu Lande und zu Wasser, um uns den 
Frieden gegen jeden Gegner zu schützen und zu erhalten. Nur solche 
Männer, die entschlossen sind, auch weiter die Förderung jeder ehrlichen 
Arbeit im Lande, insbesondere die Interessen der Landwirtschaft, des Hand- 
werks, des gesamten Mittelstandes unter Schonung ihrer finanziellen Kräfte 
hoch zu halten und eine Steuer- und Handelspolitik zu fordern, die dem 
Rechnung trägt. Wir unterstützen auch fernerhin eine gesunde Sozial- 
politik im Sinne der kaiserlichen Botschaft Wilhelms I., verlangen aber 
ihre einfachere, billigere und bessere Ausgestaltung unter größerer Berück- 
sichtigung der Interessen des Mittelstandes und unter Erhaltung der Lebens- 
fähigkeit und des Gedeihens nicht bloß der Arbeiter, sondern auch der 
Arbeitgeber. Im Kampsfe für unsere, durch die Sozialdemokratie schwer 
bedrohten nationalen Güter und Ideale, sowie der sozialen und staatlichen 
Autoritäten erwarten wir von der Reichsgewalt energische und wirksame 
Maßregeln, die mehr als bisher jenen vaterlandslosen, mit der christlichen 
Kultur des Deutschen Reiches in Widerspruch stehenden Bestrebungen ent- 
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