Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

246 Sie Merreichischungerische Monarbie. (März 6. 7.|23.) 
lichen Selbständigkeit Ungarns, die Schaffung eines eigenen ungarischen 
Zollgebiets nach Ablauf der soeben in Kraft getretenen Handelsverträge. 
6. März. (Cisleithanien.) Die Regierung bringt folgen- 
des Ermächtigungsgesetz über die Beiträge zu den gemeinsamen 
Ausgaben ein: 
§ 1. Die vorschußweise Leistung von Beiträgen zu den Kosten der 
gemeinsamen Angelegenheiten im Jahre 1906 von seiten der im Reichs- 
rate vertretenen Königreiche und Länder wird unter der Voraussetzung 
reziproker Beitragsleistung der Länder der ungarischen Krone genehmigt. 
8 2. Nach der gesetzmäßigen Feststellung des Budgets der gemeinsamen 
Angelegenheiten für das Jahr 1906 und des Verhältnisses, in dem beide 
Staatsgebiete zu den Kosten der gemeinsamen Angelegenheiten beizutragen 
haben, ist auf dieser Grundlage über die geleisteten Beiträge endgültig 
abzurechnen. § 3. Ueber die vorschußweisen Leistungen ist dem Reichsrate 
halbjährig ein Ausweis vorzulegen. 
7.223. März. (Cisleithanien.) Abgeordnetenhaus. Wahl- 
rechtsdebatte, erste Lesung. 
Minister des Innern Graf Bylandt-Rheidt: In der Wahlkreis- 
einteilung sei zum Schutze des nationalen Besitzstandes nach Tunlichkeit 
das Prinzip der nationalen Abgrenzung angewendet worden, so daß künftig- 
hin der nationale Besitzstand ausschließlich auf der Summe der nationalen 
Wählerschaft beruhen werde, unabhängig von Kompromissen und Wahl- 
zufälligkeiten. Die Regierung sei sich wohl bewußt, daß das Deutschtum 
in Oesterreich zu den ersten Kulturträgern, zu den staatserhaltenden Fak- 
toren gehöre, die von jeder Regierung beachtet werden müssen. Die Ver- 
mehrung der flawischen Mandate sei ein natürliches ziffernmäßiges Er- 
gebnis aus der Anwendung der entwickelten Grundsätze. Abg. v. Grab- 
mayer (verfassungstreuer Großgrundbes.) ist gegen das allgemeine Wahlrecht: 
Erstens bekämen infolge desselben die ungebildeten Elemente die Herrschaft 
über den Staat, zweitens würden die Sozialdemokraten das Haus be- 
herrschen. Abg. Weißkirchner schre# soz.) polemisiert gegen den Vorredner: 
Auch im Deutschen Reiche hätte das allgemeine Stimmrecht nicht die un- 
gebildeten Elemente ans Ruder gebracht, und die bisherige Kurie des all- 
gemeinen Wahlrechts hätte doch nicht ausschließlich oder vorwiegend un- 
gebildete oder radikale Abgeordnete ins Parlament entsandt. Uebrigens 
sei gerade die Arbeiterschaft überaus regen politischen Geistes. Graf 
Dzieduszykie (Pole): Die Vorlage behandle die Nichtdeutschen als in- 
feriore Staatsbürger und benachteilige die Polen. Die Mandate müßten 
auf die einzelnen Länder nach der Kopfzahl verteilt werden. Kaftan 
(Tsch.): Das allgemeine und gleiche Wahlrecht sei in einem Staate, in dem 
der Militär= und Bildungszwang bestehe, unerläßlich. Die Wahlreform- 
vorlage enthalte aber Ungerechtigkeiten. Die Slawen würden, wenn sie 
die ihnen zukommende Mehrheit hätten, den Deutschen gern die Hand zum 
Frieden reichen. Abg. Graf Silva-Tarouca (kons. Großgrundbesitz.): Die 
Wahlreformvorlage der Regierung entspreche weder dem von der Regierung 
proklamierten Grundsatz der Gerechtigkeit, noch der historischen Entwicklung 
und werde auch nicht die vom Ministerpräsidenten erhofften Wirkungen 
haben, weil diese nur auf der Grundlage der nationalen Verständigung 
zu erwirken seien. Er wünsche eine Verfassungsänderung im Sinne der 
Entlastung des Reichsrates und der Erweiterung der Kompetenz der Land- 
tage. Adler (Soz.): Die Sozialdemokraten begrüßten die Vorlage trotz
	        
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