18 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 31. Febr. 1.)
verlustig gingen, Abstand genommen werde. Wenn freilich sich heraus-
stellen würde, daß die Fortsetzung der Mainkanalisation auf keine andere
Weise erreicht werden könne als durch Zustimmung zur Einführung von
Schiffahrtsabgaben auf natürlichen Wasserstraßen, dann werde sich viel-
leicht ein Abgehen von diesem prinzipiellen Standpunkt rechtfertigen lassen.
Minister v. Frauendorfer: Die ganze Mainkanalisationsfrage werde
wohl nur gelöst werden können, wenn Bayern sich mit der Einführung
von Schiffahrtsabgaben befreunden werde. Wie die Verhältnisse liegen,
werde man nicht damit rechnen dürfen, daß der preußische Landtag die
Mittel zur Fortführung der Mainkanalisierung bis Aschaffenburg, soweit
sie auf Preußen treffen, bewilligen wird, bevor nicht der Vollzug des preu-
ßischen Gesetzes vom 1. April 1905, wonach die preußische Regierung ver-
pflichtet sei, auf die Einführung von Abgaben auf den im Interesse der
Schiffahrt regulierten Flüssen hinzuwirken, sichergestellt sei.
31. Januar. (Hamburg.) Die Bürgerschaft genehmigt mit
120 gegen 35 Stimmen die Wahlrechtsvorlage.
Hiernach sollen wie bisher von den 160 Mandaten der Bürgerschaft
40 von den Notabeln und höheren Beamten, 40 von den Grundbesitzern
gestellt werden. Von den übrigen 80 sollen zwei Drittel durch Wähler
mit mehr als 2500 Mark Jahreseinkommen vergeben werden. — Das
Gesetz wird als eine enorme Begünstigung der Besitzenden vielfach scharf
angegriffen.
1. Februar. (Württemberg.) Die Zweite Kammer ge-
nehmigt mit 69 gegen 20 Stimmen die Verfassungsrevision.
Danach besteht die Zweite Kammer aus 63 Bezirksabgeordneten,
6 Abgeordneten der Stadt Stuttgart, 6 Abgeordneten der anderen „guten
Städte“ Ulm. Heilbronn, Ludwigsburg, Reutlingen, Tübingen, Ellwangen,
sämtlich gewählt nach allgemeinem Wahlrecht, und 17 Landesabgeordneten,
gewählt in einem Wahlgang des ganzen Landes als eines einzigen Wahl-
kreises durch Listen- und Verhältniswahl; die Erste Kammer aus den bis-
herigen Mitgliedern, sowie aus 8 Vertretern der Ritterschaft, 4 der evan-
gelischen und 2 der katholischen Kirche, 1 der Universität Tübingen, 1 der
Technischen Hochschule Stuttgart, 8 der Berufsstände, nämlich 3 des Han-
dels und der Industrie, 3 der Landwirtschaft und 2 des Handwerks. Das
Stichwahlverfahren bei den Bezirkswahlen soll ersetzt werden durch das
romanische System, welches im ersten Wahlgang absolute Mehrheit, im
zweiten Wahlgang, bei dem wieder alle Kandidaten zugelassen sind, relative
Mehrheit verlangt. Die Listen- und Verhältniswahl soll in Anwendung
kommen für die 6 Abgeordneten der Stadt Stuttgart und die 17 Land-
tagsabgeordneten.
Die Minorität wird gebildet aus 19 Mitgliedern des Zentrums und
einem ritterschaftlichen Abgeordneten. — Zehn Ritter stimmen unter Ab-
gabe folgender Erklärung ab: Sie seien in wesentlichen Punkten mit den
gefaßten Beschlüssen nicht einverstanden, wünschen aber die Beratung in
der Ersten Kammer, halten die Möglichkeit einer Verständigung nicht für
ausgeschlossen und behalten sich ihre Stellungnahme für eine spätere Ab-
stimmung vor. Die sozialdemokratischen Abgeordneten begründen ebenfalls.
ihre Abstimmung: sie erklären die Beibehaltung der Ersten Kammer mit
den Grundsätzen der Sozialdemokratie nicht vereinbar, stimmen aber trotz-
dem im Hinblick auf die Umwandlung der Zweiten Kammer in eine reine
Volkskammer der Vorlage zu.