252 Hie öskerreichischungarische Monarchie. (April 29.—Mai 15.)
Kandidaten werden genannt: Derschatta (Deutsche Volkspartei) als Eisen-
bahnminister, Dr. Groß (Fortschrittspartei) oder Prade (Volkspartei) als
Landsmannminister, Groß eventuell auch als Finanzminister und Dr. Eben-
hoch (Zentrum) als Ackerbauminister. Für die Tschechen soll Paczak als
Landsmannminister und Zaczek, der jetzige zweite Vizepräsident des Ab-
geordnetenhauses, als Handelsminister und für die Polen Graf Dzieduszycki
als Landsmannminister und Madeyski als Unterrichts= oder Justizminister
in das Ministerium Gautsch eintreten. .
Gegen diese Lösung sind namentlich die Deutschböhmen, die All—
deutschen wegen der slawischen Mehrheit und die Polen, die das allgemeine
Wahlrecht ablehnen. Da eine Einigung nicht zu erzielen ist, tritt Gautsch
zurück (30. April), der Kaiser ernennt zu seinem Nachfolger den Statt-
halter von Triest Prinz Konrad zu HohenloheSchillingsfürst. Die
übrigen Minister außer dem Minister des Innern Grafen Bylandt bleiben
im Amt.
29. April bis 7. Mai. (Ungarn.) Bei den Wahlen zum
Abgeordnetenhause werden gewählt 240 Kossuthisten, 74 Mitglieder
der Verfassungspartei, 30 der katholischen Volkspartei, 38 der
Nationalitäten, 1 Sozialist, 1 Bauernparteiler, 7 Parteilose.
15. Mai. (Cisleithanien.) Abgeordnetenhaus. Minister-
präsident Prinz Hohenlohe legt sein Programm vor:
Die erste Pflicht der Regierung sei die Durchführung der Wahl-
reform. Er hoffe, daß die bei der ersten Ankündigung vorgebrachten Ein-
wendungen zu modifizieren sein werden durch die Erkenntnis, daß Er-
weiterungen der öffentlichen Rechte eine nationale Notwendigkeit geworden
sind und die vielen ausgesprochenen Befürchtungen nicht eintreten werden.
Er habe es bei der Wahlreform nicht auf die Verdrängung des Groß-
grundbesitzes aus dem öffentlichen Leben abgesehen; das weitere Verbleiben
des Großgrundbesitzes, dessen Verdienste warm anzuerkennen seien, hänge
wesentlich von ihm selbst ab. Die Regierung sei nicht nur verpflichtet,
auf die großen Zeitströmungen zu achten, sie sei vielmehr ihnen gegenüber
verantwortlich. Durch die Wahlreform werde dem Gebote der sozialen
und politischen Gerechtigkeit entsprochen. Gleichzeitig bahnt die Wahlreform
eine Ausgleichung zwischen den nationalen Parteien über ihre politischen
Mißverständnisse an und kann uns demnach dem Ziele näher bringen, zu
einer nationalen Verständigung über die heiß umstrittenen Gebiete zu ge-
langen. Jeder österreichische Patriot muß alles daran setzen und darf auch
nichts unversucht lassen, wenn auch nur in weiter Ferne die Möglichkeit
einer Milderung der nationalen Gegensätze winkt... Ueber das Ver-
hältnis zu Ungarn sagt er: Die Wiederherstellung normaler parlamen-
tarischer Zustände in Ungarn sei mit Sympathie zu begrüßen. Die beider-
seitigen Regierungen seien übereinstimmend bereit, in Verhandlungen über
die sämtlichen offenen Fragen einzutreten und die Herstellung von Verhält-
nissen anzubahnen, die den Interessen beider Reichshälften entsprächen.
Er sei fest überzeugt, daß, wenn der Weg zum Ausgleich mit Loyalität
und ernstem Willen beschritten werde, der Erfolg nicht ausbleiben könne.
Es würde ein Segen für Oesterreich wie für Ungarn sein, wenn es ge-
länge, ein vertrauensvolles und gesichertes Verhältnis zwischen beiden Reichs-
hälften herbeizuführen. Die österreichische Regierung werde bei den Ver-
handlungen in steter Fühlung mit dem Reichsrate bleiben und die Inter-
essen Oesterreichs mit größter Tatkraft vertreten. (Lebhafter Beifall.) Der