Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

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Belgien, Rußland und der Schweiz geschlossenen Handelsverträge bis zur 
weiteren Verfügung in Kraft zu setzen, ebenso die mit Serbien und Bul- 
garien getroffenen provisorischen Vereinbarungen. — Ministerpräsident 
Wekerle legt sein Programm dar: Die großen nationalen Gedanken, die 
die Oeffentlichkeit beherrschen, können wir in der Uebergangszeit nicht ver- 
wirklichen. In erster Reihe wird die Regierung die Wahlreform auf der 
Grundlage des allgemeinen Stimmrechtes durchführen. Sie wird ferner 
darauf bedacht sein, die Selbstverwaltung in den Komitaten und Gemeinden 
zu stärken. In volkswirtschaftlicher Beziehung wird u. a. eine Ergänzung 
des Gesetzes zur Förderung der Industrie, sowie die Hebung des Exports 
und eine Reorganisation der Staatsbahnen geplant. Die Auswanderung 
soll durch Verschaffung von Arbeitsgelegenheit eingedämmt werden. In 
finanzieller Hinsicht wird geplant die Einführung einer progressiven Per- 
sonaleinkommensteuer. Ferner soll der Umlauf der Noten zu 10 und 
20 Kronen verringert werden. Was das Verhältnis zu Oesterreich betrifft, 
sollen Verhandlungen eingeleitet werden, um das Zollbündnis durch einen 
Zollvertrag zu ersetzen. — Vertreter der Verfassungspartei, der Kossuth= 
partei und der Volkspartei versprechen Unterstützung des Kabinetts. 
Anfang Juni. In Niederösterreich werden wegen Lohn- 
streitigkeiten 40000 Bauarbeiter ausgesperrt, Ende Juni wird durch 
mehrere Tarifverträge unter Vermittlung der Statthalterei die 
Einigkeit wiederhergestellt. 
3. Juni. (Cisleithanien.) Folgendes Kabinett wird ge- 
bildet: 
Ministerpräsident: Frhr. v. Beck (Beamter), Inneres: Bienerth (Be- 
amter), Ackerbau: Fürst Auersperg (Beamter), Justiz: Dr. Klein (Beamter), 
Eisenbahnen: v. Derschatta (dt. Volkspartei), Unterricht: v. Narchet (dt.= 
fortschr.), Finanzen: Konywski (Pole), Handel: Forscht (Tsch.), Prade deut- 
scher, Dzieduszyki polnischer, Pacak tschechischer Landsmannminister. 
5.6. Juni. (Ungarn.) Abgeordnetenhaus. Ex-lex-Zustand; 
Handelspolitik. Nationalitätenfrage. 
Am 5. genehmigt das Haus die Gesetzesvorlage betreffend das 
Budgetprovisorium und betreffend die Bewilligung des Rekrutenkontingents. 
Hiermit ist der Ex-lex-Zustand, der infolge der Verweigerung der Steuern 
und der Rekruten eingetreten war, formell beendigt. — Am 6. genehmigt 
es das Ermächtigungsgesetz, kraft dessen die Regierung die Handelsverträge 
mit Deutschland, Italien, Belgien, Rußland und mit der Schweiz mit 
Rückwirkung bis zum März 1906 auf dem Verordnungswege in Kraft setzt 
und das die Regierung ferner autorisiert, betreffend den Handelsverkehr 
mit Serbien, Bulgarien und Montenegro provisorische Verfügungen zu 
treffen. In der Debatte opponieren die Nationalitäten, die von allen 
Ausschüssen ausgeschlossen worden waren, obgleich sie 25 Mann stark waren. 
Sie sollen aber nicht als Partei anerkannt werden. Infolge ihrer Oppo- 
sition erklärt Ministerpräsident Wekerle: Das Kabinett legt das Haupt- 
gewicht auf die Unparteilichkeit der Verwaltung, was besonders den Natio- 
nalitäten, vielleicht nur ihnen zugute kommt. Die großen Staatsmänner 
Ungarns, Deak, Kossuth, Eötvös, Andrassy, haben stets in der Nationalitäten- 
frage einen weitgehenden liberalen Standpunkt eingenommen. Die Regie- 
rung hat sich auf den Standpunkt dieser Männer gestellt, ihre Loyalität 
darf nicht angezweifelt werden. Es ist unbillig, zu behaupten, daß jetzt 
Europäischer Geschichtskalender. II VII. 17
	        
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