Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

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eine Aera eingetreten sei, in der der ungarischen Rasse besondere Begün- 
stigungen zuteil und die Nationalitäten unterdrückt würden. Die kulturelle 
Entwickelung der Nationalitäten, die Freiheit Schulen zu errichten, wollen 
wir nicht beschränken. Nur soll auch da der ungarische Staatsgedanke und 
der ungarische nationale Charakter dieses Staates zum Ausdruck gelangen. 
Die Sprachenforderung der Nationalitäten können wir in der verlangten 
Form nicht durchführen. Die Bescheide in der Sprache der Eingaben ab- 
zufassen ist bei der mittleren Behörde nicht durchzuführen, weil wir hier 
vor allem fachmännisch gebildete Beamte anstellen müssen, doch auf dem 
Gemeindeverwaltungsgebiete soll diesem Wunsche nach und nach möglichst 
Rechnung getragen werden. Auch habe ich mich bereit erklärt, bei der 
Besetzung einzelner Stellen solche Bewerber, die nicht der ungarischen Nation 
angehören, wenn sie für ihre fachmännische Bildung eine Gewähr bieten, 
in jedem Falle zuzulassen. Darüber hinaus aber werden wir nicht gehen. 
Was die Wahlreform betrifft, so gedenkt die Regierung von jedem Zensus 
abzusehen. Viel wichtiger ist die Einteilung der Wahlbezirke, die Reform 
des Wahlverfahrens und die Judikatur in Wahlangelegenheiten. 
6.7. Juni. Der Deutsche Kaiser besucht den Kaiser Franz 
Joseph. — Depeschenwechsel mit dem König von Italien. — 
Kreuzenstein. 
Beide Kaiser richten folgendes Telegramm an König Viktor Emanuel: 
Zu zweien vereinigt, senden Wir Unserem dritten treuen Verbündeten den 
Ausdruck Unserer unveränderlichen Freundschaft. Wilhelm. Franz Joseph. 
Der König antwortet: Ich teile die Befriedigung Euer Majestät 
und Seiner Majestät des Deutschen Kaisers über Ihr Zusammensein und 
bitte die beiden Verbündeten, mit Meinem Dank für Ihre liebenswürdige 
Depesche die Versicherung Meiner treuen und unverbrüchlichen Freundschaft 
entgegenzunehmen. Viktor Emanuel. 
Am 7. besucht Kaiser Wilhelm die Burg Kreuzenstein des Grafen 
Wilczek und besichtigt die dortigen Kunstschätze. In seiner Erwiderung 
auf die Begrüßung des Grafen sagt er: Sie wollen dem jetzigen Geschlecht 
vorführen, wie unsere schwertgewaltigen Ahnen die ritterliche Tugend der 
Tapferkeit hochgehalten und ihre ritterliche Verehrung den Frauen bewiesen 
haben! Mögen diese Ihre Bestrebungen, denen Ich Mich aus ganzem 
Herzen anschließe, noch so verkleinert oder angegriffen werden: immerhin 
wird jeder davon überzeugt sein, daß Ihrem Werke Ehre gebührt, daß 
Ihr Werk eine Kulturtat ist. Möge man kritisieren oder möge man rügen, 
jeder, der durch Kreuzenstein schreitet, ist gezwungen zur Kritik, zur Dis- 
kussion. Wenn es nur einmal zur Diskussion kommt, ist schon ein großer 
Schritt getan. Die Diskussion führt zum Nachdenken, und Nachdenken ist 
geistige Arbeit — geistige Arbeit aber ist alles! Erneuern wir die Ideale, 
welche frühere Geschlechter erfüllt haben! Bauen wir Altes wieder auf! 
Setzen wir Altgebautes fort! 
7. Juni. (Cisleithanien.) Ministerpräsident Frhr. v. Beck 
legt im Abgeordnetenhause sein Programm dar: 
Die Regierung, die jetzt vor das Haus trete, sei weder die Regie- 
rung irgend einer Partei, noch auch eine Regierung gegen irgend eine 
Partei; sie stelle nur eine Konzentration der arbeitswilligen Kräfte dar 
und glaube den Ehrennamen einer parlamentarischen Regierung beanspruchen 
zu dürfen. Infolge der Mitwirkung der Vertrauensmänner der verschie- 
denen parlamentarischen Gruppen könne das Parlament beruhigt der
	        
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