Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

264 Die Merreichischungarische Monarihie. (Juni 11.) 
und damit in Mazedonien auch auf dem Gebiete der Finanzverwaltung 
möglichst geordnete und normale Zustände zu schaffen. Dann bemerkt er: 
Was nun überhaupt den Stand der Reformarbeit anbelangt, so 
kann wohl konstatiert werden, daß derselbe kein unbefriedigender ist, so 
groß auch die Hindernisse sind, denen wir nur zu oft begegnen und die, 
abgesehen von dem bekannten passiven Widerstand der Türkei gegen jed- 
wede Neuerung, nicht am wenigsten in den Machenschaften jener auf- 
rührerischen Kreise liegen, die vor allem selbstsüchtige Zwecke verfolgen und 
planmäßig alles aufzuwenden suchen, um das Scheitern der von den 
Ententemächten in uneigennützigster Weise übernommenen Aufgabe herbei- 
zuführen. Zu den hierzu mit Vorliebe gebrauchten Mitteln gehört die 
Organisierung und materielle Förderung des Bandenunwesens, welches be- 
reits viele Verheerungen angerichtet hat und dem speziellen Zwecke dient, 
eine beständige Unruhe und Gärung nach allen Richtungen hin zu er- 
halten. Allerdings ist in jüngster Zeit diesfalls eine gewisse Besserung 
zu verzeichnen, indem einerseits die Türkei sich aufzuraffen beginnt und 
bei der Verfolgung und Vernichtung der auftauchenden Banden mit den 
ihr zur Verfügung stehenden bedeutenden Machtmitteln nunmehr glücklicher 
und erfolgreicher als wie bisher operiert, andrerseits auch die einheimische 
Bevölkerung selbst, des ewigen Kampfes müde, sich dem Terrorismus der 
revolutionären Komitees allmählich zu entziehen sucht. Zu einer radikalen 
Beseitigung dieser sehr bedenklichen Erscheinungen bedarf es aber noch der 
loyalen Mitwirkung sämtlicher Nachbarländer, an die wiederscholt schon 
die Ententemächte mit den eindringlichsten Vorstellungen und Ermahnungen 
zu dem Zweck herangetreten sind, um ihnen den vollen Ernst der Lage 
und das Bewußtsein der schweren Verantwortung beizubringen, die sie 
durch die Duldung solcher Quertreibereien innerhalb ihrer Grenzen im 
Angesicht von ganz Europa auf sich laden würden. Dieses Bewußtsein 
scheint auch in der Tat Wurzeln geschlagen zu haben, denn es läßt sich 
nicht leugnen, daß man sich heute sowohl in Sofia als auch in Athen und 
Belgrad anschickt, energischere Vorkehrungen, als die bisher ergriffenen, 
zu treffen, und wenn auch deren Wirkung nicht überall noch die gleich 
ersprießliche ist, so geben sie doch der Annahme Raum, daß man auf dem 
eingeschlagenen Wege nicht stehen bleiben kann, sondern vielmehr ernstlich 
bestrebt sein wird, alles aufzubieten, um den aufrührerischen Elementen 
auf eigenem Gebiete endgültig das Handwerk zu legen. Graf Goluchowski 
geht hierauf zur Besprechung des griechisch-rumänischen Konflikts über, der 
durch den Nationalitätshader zwischen Griechen und Kutzowalachen in Maze- 
donien verursacht sei und höchstens einem tertius gaudens zugute kommen 
könne. Dieser Streitfall hätte seines Erachtens um so leichter vermieden 
werden können, als die Beruhigung und die Schaffung möglichst normaler 
Zustände im mazedonischen Gebiete dem Interesse beider Staaten entspricht 
und das Wesen der strittigen Frage schließlich Angelegenheiten betrifft, die 
sich der direkten Kompetenz beider Teile entziehen. Man dürfe wohl er- 
warten, daß binnen kurzem eine Verständigung zwischen Bukarest und 
Athen zustande kommen werde. Oesterreich-Ungarn werde sie möglichst zu 
erleichtern suchen 
Aus alledem kann man ersehen, daß in der von uns und Rußland 
im Einvernehmen mit den übrigen Mächten entwickelten Tätigkeit ein steter 
Fortschritt wahrzunehmen ist und daß somit von einem Schiffbruch unseres 
Unternehmens absolut keine Rede sein kann. Bedauerlich ist nur, daß 
solche tendenziöse Ausstreuungen Gehör und Widerhall finden in Ländern, 
wo eine nüchterne Beurteilung der Lage zu erwarten wäre. Dies kann 
aber nichts an den Tatsachen ändern, welche keineswegs Veranlassung zur
	        
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