Bie Ferreichisch-ungarische Monarhie. (Juni 11.) 265
Entmutigung bieten. Wohl läßt das Tempo unserer Aktion einiges zu
wünschen, doch muß man hierbei an die mannigfachen Ursachen der Ver-
zögerung denken. Niemand kann unter solchen Umständen überrascht sein,
daß der Heilungsprozeß mehr Zeit in Anspruch nimmt, als es unter nor-
malen Verhältnissen der Fall wäre. Nichtsdestoweniger lassen uns die
bisher erzielten Resultate mit Zuversicht in die Zukunft blicken. Ueberzeugt,
daß der von uns gewählte Weg der beste ist, um verhängnisvollen Kompli-
kationen vorzubeugen, wollen wir im Verein mit Rußland die eingeleitete
Friedensaktion unentwegt fortsetzen. Wir fühlen uns zu der Hoffnung
berechtigt, daß es uns gelingen wird, das begonnene Werk, gestützt auf
das Vertrauen der übrigen Signatarmächte, mit Erfolg zum Abschluß zu
bringen. Ueber den durch den serbisch-bulgarischen Zollunionsvertrag be-
wirkten Inzidenzfall äußerte Graf Goluchowski sich wie folgt: Inmitten
unserer Handelsvertragsverhandlungen mit Serbien und Bulgarien wurde
der Wortlaut des fraglichen Uebereinkommens durch eine in der bulgari-
schen Sobranje eingebrachte Regierungsvorlage plötzlich bekannt. Wir waren
somit vor eine Situation gestellt, welche eine Verschiebung der Basis be-
deutete, auf der unsere Verhandlungen bisher geführt worden waren. Das
nötigte uns zu einer entschiedenen Stellungnahme. Es blieb uns nichts
übrig, als die bereits ziemlich vorgeschrittenen Verhandlungen einstweilen
einzustellen und abzuwarten, daß die Verhältnisse auf jenen Punkt zurück-
geführt werden, welche deren Wiederaufnahme auf einer normalen Grund-
lage ermöglichen würde. Bezüglich Bulgariens, wo ein fait accompli
durch Annahme der Regierungsvorlage in der Sobranje geschaffen wurde,
mußten wir uns vorbehalten, die Angelegenheit auch vom Standpunkt des
Berliner Vertrages näher zu prüfen. Hinsichtlich Serbiens hatten wir
allerdings nur den Boden der Vereinbarung zur Verfügung, auf dem wir
uns um so sicherer bewegen konnten, da die Konzessionen, welche wir zu
vergeben hatten, ein zu wertvolles Objekt für Serbien waren. Diese Er-
kenntnis veranlaßte auch die Serben nach unserem kategorischen Proteste
dazu, sich zur Vornahme aller jener Modifikationen bereit zu erklären,
welche wir im Vertrage mit Bulgarien notwendig finden würden, bezw.
dazu, den Vertrag der Skupschtina überhaupt nicht vorzulegen. Wir wählten
letztere Alternative und verlangten eine diesbezügliche schriftliche Erklärung.
Die verschiedenen Schwankungen, die serbischerseits während der darauf
folgenden Besprechungen über die Ausführungsmodalitäten zum Vorschein
kamen, will ich lieber unerwähnt lassen. Wir haben bei aller Schonung
des Ehrgefühls und der Empfindlichkeit der Belgrader Regierung an dem
Wesen unserer Forderungen unentwegt festgehalten und haben die Handels-
vertragsverhandlungen erst nach vollständiger Erfüllung unserer Bedingungen
wieder aufgenommen. Hierbei waren wir nicht im mindesten von Miß-
gunst oder Neid gegen die beiden Länder geleitet, aber wir konnten un-
möglich zugeben, daß unter dem Vorwande einer politischen Annäherung
eigenartige Vereinbarungen getroffen wurden, welche unsere wirtschaftlichen
Interessen einer empfindlichen Schädigung ausgesetzt hätten.
Die zwischen Frankreich und England einerseits und zwischen Frank-
reich und Spanien andrerseits im Jahre 1904 in betreff Marokkos ab-
geschlossenen Vereinbarungen — so erklärte Graf Goluchowski — veran-
laßten das deutsche Kabinett zu einer entschiedenen Stellungnahme gegen
jene Verfügungen, welche einzelnen Mächten eine prävalierende Stellung
auf wirtschaftlichem Gebiete in Marokko zum Nachteile der übrigen ein-
geräumt hätte. Als ein stark mitinteressierter Faktor schlossen wir uns
der Auffassung der deutschen Regierung an und vereinbarten mit derselben
ein gemeinschaftliches, auf die Schaffung hinreichender Garantien zur Wah-