Vie österreichischungarische Monarcie. (Juni 19.—21./26.) 267
verwickelt werden könne, erklärt er: In diesem Vertrage sind die Fälle
sehr genau bestimmt, in denen wir gegenseitig einzugreifen haben und es
sind alle möglichen Garantien gegeben, sowohl für uns, wie für das Deutsche
Reich. Es tritt der casus foederis ein, wenn einer von uns von zwei
Seiten angegriffen wird. Das bietet genügende Sicherheit. Wenn man
ein Defensivbündnis schließt, sind die Rechte und Pflichten gegenseitig.
Selbstverständlich kann das Gebiet, für welches das Bündnis gilt, nicht
abgegrenzt werden; ebensowenig ist im voraus zu bestimmen, wann der
Casus foederis eintritt. Die Hauptsache bleibt der Ueberfall von zwei
Seiten und daß eine gegnerische Provokation den Krieg hervorruft. Uebri-
gens besteht das Bündnis seit einer Reihe von Jahren und hat sich bisher
als eine Friedensbürgschaft erwiesen. Es hat uns über manche Klippe
hinweggeholfen. Dies wird hoffentlich auch in Zukunft nicht anders sein.
Es liegt kein Grund vor, an dem Vertrag etwas zu ändern, dessen Risiko
für beide Teile gleich ist. Oesterreich-Ungarn hatte in der Marokkofrage
wichtige handelspolitische Interessen zu vertreten, so daß es sich dem Stand-
punkt Deutschlands zur Wahrung des durch das englisch-französische Ab-
kommen gefährdeten Prinzips der offenen Tür anschloß. Die durch Oester-
reich-Ungarns vermittelnde Tätigkeit hergestellte Ausgleichung sei für Deutsch-
land und Frankreich gleich ehrenvoll gewesen. Sie habe der Sache des
Friedens einen sehr großen Dienst geleistet. — Schließlich sei der Vor-
wurf des allzu scharfen Vorgehens gegenüber Serbien zurückzuweisen. Die
Regierung habe pflichtgemäß die gerechten Forderungen Oesterreich-Ungarns
vertreten müssen. Von einer Gehässigkeit gegenüber Serbien sei keine Rede.
— Am 18. Juni findet in der ungarischen Delegation eine analoge De-
batte statt, in der der Minister dieselben Erklärungen abgibt. Die ungari-
schen Delegierten beschweren sich namentlich, daß die deutsche öffentliche
Meinung den nationalen Kampf der Ungarn im letzten Jahre gehässig
behandle. Trotzdem harre Oesterreich-Ungarn bei dem isolierten Deutsch-
land als sein Schleppenträger aus.
19. Juni. (Wien.) In der ungarischen Delegation erklärt
Kriegsminister v. Pitreich über die Regimentssprache:
Er erkenne zwar die ungarische Staatssprache an, müsse aber bei
der Anwendung anderer Sprachen im Dienstbetriebe der praktischen Not-
wendigkeit Rechnung tragen, da in einer ganzen Anzahl von Regimentern,
die in Ungarn ihre Garnison hätten, nur ein Teil der Mannschaften die
ungarische Sprache genügend beherrsche. Er werde aber sein Möglichstes
tun, um das Ungarische als Regimentssprache zur Geltung zu bringen.
Was die Umgangssprache anbelange, so seien, von den fast durchweg aus
magyarischen Elementen bestehenden Husaren-Regimentern abgesehen, 15
Regimenter rein ungarisch, 18 doppelsprachig und 4 dreisprachig gemischt.
Es seien strenge Verfügungen erlassen, um zu verhüten, daß die Mann-
schaft in ihren religiösen und nationalen Gefühlen verletzt würde.
21./25. Juni. Der Kaiser bereist Böhmen und besucht u. a.
Reichenberg, wo ihn 200 Bürgermeister deutscher Gemeinden em-
pfangen. — In einem Handschreiben dankt er für die begeisterte
Aufnahme bei beiden Volksstämmen.
21./26. Juni. (Wien.) Besprechung der auswärtigen Politik
in der österreichischen Delegation.
Del. Bianchini (Ital.) tadelt den Dreibund, durch den Deutsch-