270 Die österreihisqh·nngarise Monarchie. (Juli 3.)
der Minister, habe überall die Erfahrung gemacht, daß in der Bevölkerung
eine geradezu rührende und unverbrüchliche Anhänglichkeit an den Kaiser
fortlebe, und daß auch in der Bevölkerung eine tiefe Sehnsucht danach
herrsche, daß endlich der politische Widerstreit aufhöre, und daß endlich
die Agitation und der Terrorismus ein Ende finden mögen. Diese
Hoffnung auf eine bessere Zukunft sei gerechtfertigt. Ganz falsch sei die
Behauptung, daß die gemeinsame Armee nur mehr zum Scheine be-
stehe: die gemeinsame Armee bestehe nicht nur zu Recht, sondern sie be-
findet sich sogar in jenem vorzüglichen Zustande, zu dem sie sich empor-
gearbeitet hat, und der von allen Mächten anerkannt wird. Die größten
Schwierigkeiten bezüglich der gegenwärtigen Anschauungen über die Armee
liegen nicht so sehr im Zwiespalt dieser Anschauungen, als in der Art,
wie der Kampf geführt wird, wie die öffentliche Meinung oft über un-
bedeutende Vorfälle, welche verdreht, aufgebauscht und falsch kommentiert
werden, in Verwirrung gebracht wird. Auch die Armee, ein Volksheer,
kann und darf die Augen nicht geschlossen halten gegenüber den Gegen-
sätzen, die in den Völkern mächtigen Widerhall finden. (Zustimmung.) Sie
muß trachten, die Gegensätze in ihrem eigenen Organismus auszusöhnen,
und maßgebende Angehörige der Armee sind der Meinung, daß der Or-
ganismus der gemeinsamen Armee gesund und kräftig genug ist, um sich
ohne Gefahr in der gedachten Weise den Zeitströmungen zu akkomodieren.
(Zustimmung.) Ich hoffe aber auch zuversichtlich, daß bei den maßgebenden
Politikern diejenige Besonnenheit die Oberhand gewinnen wird, welche es
ermöglicht, in ruhiger und objektiver Würdigung der Verhältnisse vor-
urteilsfrei dasjenige zu finden, was für die gemeinsame Verteidigung mit
vereinter Kraft Bedingung ist, den Weg, der zur Einigung führt. Auf
die Klagen und Beschwerden wegen der Höhe der Militärlasten übergehend,
an denen die Großmannssucht Oesterreich-Ungarns schuld sein solle, sei zu
antworten: Wir sind eben nach der Größe des Raumes und nach der Zahl
der Bewohner eine Großmacht, die unter dem Habsburgischen Szepter ein
für Europa unentbehrliches Staatengebilde repräsentiert. Es ist sehr leicht,
in Friedenszeiten von Herabsetzung der Militärlasten zu sprechen. Wenn
aber der schwere Augenblick einer kriegerischen Verwickelung kommt, dann
wird es heißen: Warum ist dieses und jenes nicht geschehen? Warum
hat der Kriegsminister nicht gesprochen? Wir hätten ihm ja das Militär
bewilligt und dergleichen. Sowohl die Blut- als auch die Geldsteuer für
Heereszwecke sei in Oesterreich-Ungarn geringer als in Deutschland und
Frankreich, ja selbst als in Italien, Oesterreich-Ungarn habe an Militär-
lasten auf den Kopf ein Sechstel der Gesamtausgaben, während sie in
Deutschland die Hälfte, in Frankreich ein Drittel, in Italien ein Viertel
betragen.. Zweifellos sind unsere Lasten groß, aber der Zuruf eines
Delegierten: „Wir wollen mit Wasser kochen“, hat bereits längst seine Ver-
wirklichung gefunden, und wenn — was der Welt zu wünschen wäre —
gewisse Abrüstungspläne zur Ausführung kämen, würden die anderen
Staaten lange zu tun haben, bis sie auf den Standpunkt kommen, auf
dem wir uns heute befinden. Anderseits glaube ich mich auf die richtigen
Ausführungen des Grafen Schönborn berufen zu können, daß wir ein
geschätzter Alliierter geblieben sind, obwohl wir in der Entwickelung des
lebenden und toten Materials hinter anderen Staaten zurückgeblieben sind.
Das Heeresordinarium wird angenommen.
3. Juli. (Wien.) In der ästerreichischen Delegation er-
widert Minister des Auswärtigen Graf Goluchowski auf mehrere
Angriffe und Anfragen: