Vie österreichisch-ungerische Monarcie. (Juli 7.—16.) 273
Angelegenheit einlassen, er müsse aber doch betonen, daß diese Zusätze, falls
sie Gesetzeskraft erlangen sollten, sich als einseitige Interpretationen ein-
zelner grundlegender Bestimmungen des Vertrages mit der Schweiz dar-
stellen würden. Zu diesem Zwecke, und um keinen Zweifel darüber auf-
kommen zu lassen, ziehe die Regierung im Hinblick auf die bevorstehenden
Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn die dem Hause noch vorliegenden
Gesetzentwürfe über die wirtschaftlichen Ausgleiche mit Ungarn zurück.
Infolge dieses Entschlusses der Regierung hat der im Jahre 1903 ab-
geschlossene Ausgleich aufgehört zu bestehen. Nur der Zolltarif und das
Zollgesetz sind bereits auf dem Verordnungswege davon in Kraft gesetzt.
Alles übrige, was dazu gehört, alle Vorlagen, die dem österreichischen
Reichsrate vorgelegt wurden, aber bisher unerledigt blieben, sind jetzt von
der Regierung ausdrücklich zurückgezogen worden: der (nur vom Ausschuß
bereits erledigte) Entwurf des Zoll= und Handelsbündnisses, an dessen
Stelle Ungarn den Zoll= und Handelsvertrag setzen will, die damit zu-
sammenhängenden Vorlagen über das Besteuerungswesen, das Ueberein-
kommen über die Rentensteuer auf ungarische Papiere, die Valuta- und
Bankvorlagen, speziell auch der Gesetzentwurf betreffend die Aufnahme der
Barzahlungen und über die kleinen Noten, durch den die Valutareform in
der Monarchie erst ihren Abschluß gefunden hätte. Tatsächlich bleibt aber
bestehen das bisherige wirtschaftliche Verhältnis: die Zollfreiheit des Ver-
kehrs, die Handelsverträge mit den fremden Staaten, das bisherige Ver-
hältnis zur Bank, die Behandlung der Verzehrungssteuer.
7. Juli. (Wien.) Schluß der Delegationen. — Sämtliche
Budgets sind bewilligt.
8. Juli. Zollkrieg mit Serbien.
Der österreichisch-ungarische Gesandte in Belgrad verständigt die
serbische Regierung, daß die Einfuhr und Durchfuhr von lebenden Rin-
dern, Schweinen, Ziegen, Schafen und Geflügel, sowie von rohem und
bearbeiteten Fleisch aus Serbien verboten ist und daß das Handelsprovi-
sorium zwischen Oesterreich-Ungarn und Serbien aufgehört habe, zu gelten.
Am 7. Juli motiviert im ungarischen Abgeordnetenhause Minister-
präsident Wekerle die angekündigte Grenzsperre: Falsch sei die von
Kossuthisten aufgestellte Behauptung, daß der Zollkrieg den Rachegelüsten
des Ministers des Aeußeren, Grafen Goluchowski, entspringe; es seien aus-
schließlich wirtschaftliche Gründe maßgebend gewesen. Oesterreich-Ungarn
habe für 71 Posten des Zolltarifs Herabsetzungen verlangt, Serbien habe
jedoch nur bei 11 Positionen Ermäßigungen eintreten lassen. Die Forde-
rung auf Bestellung von Skodakanonen habe die Regierung fallen gelassen,
dagegen die Lieferung von Eisenbahnwagen, Lokomotiven, Munition und
Petroleum verlangt. Da 90 Prozent der serbischen Ausfuhr nach Oester-
reich-Ungarn gehen, sei diese Ausgleichsforderung berechtigt gewesen. Ser-
bien habe schon während des Zollprovisoriums Erleichterungen für die
Vieheinfuhr gewünscht, die veterinär-polizeilich bedenklich gewesen seien.
Für den Fall, daß während des Provisoriums ein definitiver Vertrag
vereinbart werden sollte, solle dieser die österreichisch-ungarische Monarchie
binden, während Serbien diesen von der Zustimmung der Skupschtina habe
abhängig machen wollen. Die Monarchie sei daher gezwungen gewesen,
die Grenzsperre zu verhängen.
16. Juli. (Ungarn.) Abgeordnetenhaus. Staats= und
Nationalitätenschulen.
Abg. Polit (Serbe) greift die Schulpolitik an. Er habe von Ap-
Europäüscher Geschichtskalender. XLVII. 18