Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

274 Die Sfterreichis= ungarische Mosarcie. (Juli 21.) 
ponyi als Kultusminister viel erhofft. Es seien aber nur die Staatsschulen 
zum Schaden der Nationalitäten vermehrt worden. Die Politik habe doch 
mit Schule und Kirche nichts gemein, deshalb solle die kirchliche Autonomie 
geschützt, die konfessionelle Schule gefördert werden. Es werde nicht ge- 
lingen, Ungarn zu einem einsprachigen Staat umzuschaffen. Man solle 
so gerecht gegen die Nationalitäten sein, wie einst Deak und Andrassy. 
Das Budget lehne er ab. Kultusminister Graf Apponyi: Die berech- 
tigten Ansprüche der Nationalitäten würden nicht geschädigt, aber mit 
grundlegenden Gesetzen dürften sie nicht in Konflikt kommen. Die Ver- 
mehrung der Staatsschulen sei nicht gegen die Nationalitäten gerichtet. 
Das Budget enthalte auch überaus hohe Beträge für konfessionelle Schulen. 
Im Nationalitätengesetze heiße es aber ausdrücklich, daß in politischer Be- 
ziehung eine ungeteilte, einheitliche ungarische Nation bestehen müsse und 
daß die Amtssprache die ungarische ist. Die Regierung werde alles auf- 
bieten, um die staatliche Einheit zu sichern, die Nationalitäten müßten den 
Standpunkt aufgeben, als sei Ungarn ein Mischmasch verschiedener Volks- 
rassen. Wenn es richtig ist, daß die Politik von der Kirche zu trennen 
sei, so sollten die Nationalitäten dafür sorgen, daß die Kirche sich nicht 
in die Politik menge. 
21. Juli. (Cisleithanien.) Einigung über die Wahl- 
reform im Ausschuß. 
Im Wahlreformausschuß macht namentlich die Verteilung der böh- 
mischen Mandate Schwierigkeiten, daneben die Forderungen der Ruthenen 
und Italiener. Nachdem die Vorschläge der Regierung und mehrere deutsche 
und tschechische Anträge verworfen worden sind, wird mit 28 gegen 19 
Stimmen die Mandatsziffer Böhmens auf 130 festgestellt, wovon die 
Tschechen 75, die Deutschen 55 erhalten. Dagegen stimmen sämtliche deutsche 
und tschechische Vertreter Böhmens und die Alldeutschen, die übrigen Deutschen, 
Polen, Südslawen und Italiener stimmen dafür. Das Gesamtbild des 
künftigen Abgeordnetenhauses ist folgendes: Es wird zählen 516 Mitglieder, 
61 Mitglieder mehr als Gautsch, 21 Mitglieder mehr als Hohenlohe be- 
willigen wollte. Von den 21 neuen erhalten Böhmen 8 (5 deutsche, 3 
tschechische), Mähreen 3 (1 deutsches, 2 tschechische), Galizien 4 (3 polnische, 
1 ruthenisches), Tirol 3 (2 deutsche, 1 italienisches), Steiermark 2 (1 deutsches, 
1 slowenisches). Dazu kommt noch das deutsche Mandat in Gotschee. Es 
wurden also 10 deutsche, 10 slawische und 1 italienisches Mandat geschaffen. 
Von diesen 516 Mandaten entfallen, nach den Nationen geordnet, 233 auf 
die Deutschen, 108 auf die Tschechen, 80 auf die Polen, 34 auf die Ru- 
thenen, 37 auf die Südslawen, 19 auf die Italiener, 5 auf die Rumänen. 
Alle Nationen außer den Rumänen gewinnen Mandate. Dem deutsch- 
italienisch-rumänischen Block von 257 Mandaten steht der slawische mit 259 
gegenüber. Nach der Gautschschen Vorlage (225:230) betrug die „Spannung"“ 
5 Mandate, nach der Hohenloheschen (246: 249) 3 Mandate, nach dem 
jetzigen angenommenen Kompromiß ist sie auf 2 gesunken. Nach Ländern 
ergibt sich folgendes Bild: Es erhalten Böhmen 130 (bisher 110), Mähren 
49 (43), Schlesien 15 (12), Galizien 106 (78), Bukowina 14 (11), Nieder- 
österreich 64 (46), Oberösterreich 22 (20), Salzburg 7 (6), Steiermark 30 (27), 
Kärnten 10 (10), Krain 12 (11), Tirol 25 (21), Vorarlberg 4 (4), Istrien 
6 (5), Görz 6 (5), Triest 5 (5), Dalmatien 11 (11). Alle Länder gewinnen 
mit Ausnahme von Kärnten, Vorarlberg, Triest und Dalmatien. 
Die deutsche Presse ist nicht durchweg befriedigt von dem Kom- 
promiß. So schreibt die „Neue Freie Presse“: „Das spärliche Resultat 
aller dieser Kämpfe besteht darin, daß sich das Verhältnis der deutschen
	        
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