282 Vie österreiqhish-ungarische Monarchit. (Dezember 4.)
Zwischenfälle in aller Ruhe zu behandeln und die beiderseits manchmal
nervös werdende und irregeführte öffentliche Meinung aufzuklären. Auf-
richtige Freundschaft besteht seit mehr als Dezennien zwischen Oesterreich-
Ungarn und Rußland. Wir können auf Grund der mit dem russischen
Minister des Aeußern gepflogenen freundschaftlichen Besprechungen mit
Beruhigung dem weiteren Zusammenwirken beider entgegenblicken, ein Zu-
sammenwirken, welches im Interesse der Erhaltung des Friedens die Bes-
serung der Lage der Bevölkerung in der europäischen Türkei anstrebt.
Auch mit den Westmächten stehen wir in besten Beziehungen. Dieses gilt
sowohl bezüglich Englands als Frankreichs. Es wird meine Aufgabe sein,
die günstigen Verhältnisse zu erhalten und noch herzlicher zu gestalten.
Die Beziehungen zur Türkei haben von jeher die größte Aufmerksamkeit
erfordert. Die Schwierigkeiten der Stellung der türkischen Regierung hat
Oesterreich-Ungarn niemals verkannt; andrerseits hat die Monarchie ihre
freundschaftliche Stimme erhoben, wenn es galt, auftauchende Gefahren
und Verwicklungen zu bannen. Hinsichtlich des Mürzsteger Programms
(Jahrg. 1903) sei festzustellen, daß im Vergleich zu 1902 immerhin gesagt
werden könne, daß die Situation weniger ungünstig sei, wenn auch die
Besserung nur eine leichte ist. Die Schwierigkeiten, mit denen zu kämpfen
sei, seien in die Augen springend, da die Zustimmung und Unterstützung
aller Mächte zu den Aktionen erforderlich sei, und die Aktionen durch
leidenschaftliche Rivalität stark gehemmt werden, die zwischen einzelnen
christlichen Nationen ausgebrochen sei. — Oesterreich-Ungarn unterhalte zu
Rumänien freundschaftliche Beziehungen; es hegt für Bulgarien, Griechen-
land, Montenegro und Serbien, getreu dem Balkanprogramm die herz-
lichste Sympathie und aufrichtiges Wohlwollen. Leider sei das wirtschaft-
liche Verhältnis zu Serbien nicht normal, doch sei Serbien Gelegenheit
geboten, auch das Verhältnis normal zu gestalten. — Der Delegation liegt
ein Rotbuch über die internationale Konferenz von Algeciras vor. Schwer-
wiegende Gründe der politischen Opportunität hätten dagegen gesprochen,
die zwischen den Kabinetten gepflogenen diplomatischen Unterhandlungen
darin aufzunehmen. Die marokkanische Frage sei auch noch nicht ab-
geschlossen, und die Spannung, welche sie in einem gegebenen Moment in
Europa erzeugt hatte, liege noch nicht weit genug zurück, um es unbedenk-
lich erscheinen zu lassen, schon jetzt diese heikle Frage neuerdings vor der
Oeffentlichkeit aufzurollen... Die französisch-englische Intimität, oder,
wie man sie nennt, die Entente, hat schon seit drei Jahren bestanden. Sie
entstand infolge der Regelung gewisser Streitfragen, die diese großen Na-
tionen viele Jahre hindurch auseinanderhielten, wie die egyptische und die
Marokkofrage. Allerdings hat diese Intimität in den letzten Jahren zu-
genommen. Aber ich kann die beruhigende Mitteilung machen, daß, so-
weit ich die Sache beurteilen kann und wie ich aus Mitteilungen maß-
gebender Persönlichkeiten weiß, diese Entente kaum die Tendenz zu einer
Gruppierung der Mächte verfolgt, die weitere Folgen nach sich ziehen
könnte oder eine aggressive Spitze gegen irgend einen anderen Staat ent-
hielte. Bezüglich der Bedeutung der Adria für unsere Stellung in der
Weltpolitik und im Welthandel bin ich der Meinung, daß die jetzigen Ver-
hältnisse dort unverändert bleiben. Auch in dieser Beziehung kann ich die
beruhigende Mitteilung machen, daß zwischen uns und dem uns befreun-
deten und verbündeten Italien sehr klare und zufriedenstellende Versiche-
rungen über unsere Stellung in der Adria ausgetauscht worden sind. Wir
erklärten, getreu unserer Politik, unserem Freunde und Alliierten, daß wir
über die durch den Berliner Vertrag fixierte Rechts= und Machtsphäre
nach keiner Richtung hinaustreten wollen, auch nicht nach Albanien, und