Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Die österreichisch, ungarische Monartie. (Dezember 7.) 283 
daß wir dieselbe Zurückhaltung von Italien erwarten. Die gleiche Zu- 
sicher#ung wurde uns in freundschaftlichster Weise auch seitens Italiens ge- 
geben. Ich glaube, daß sich auf Grund dieser Verständigung unsere wei- 
teren Beziehungen zu Italien günstig entwickeln werden. 
In der Debatte greift Del. Kramarsch (Tsch.) den Dreibund als 
gefährlich für den allgemeinen Frieden an; Del. Kozkowski (Pole) kriti- 
siert die preußische Polenpolitik und verlangt Vorstellungen des Ministers 
in Berlin. Die große Mehrheit stimmt den Darlegungen des Ministers 
zu. — Auch die Presse beurteilt den neuen Minister sympathisch. 
Am 14. Dezember bespricht der Minister besonders das Verhältnis 
zu Italien; beide Regierungen hätten den festen Willen, die Beziehungen 
immer besser zu gestalten. — Hierauf wird das Budget des Auswärtigen 
genehmigt. 
7. Dezember. (Mähren.) Abschluß der Landtagswahlen 
(vgl. 1905 S. 176). 
Von den 149 gewählten Abgeordneten sind 60 Deutsche, 89 Tschechen. 
Von den 60 Deutschen gehören 14 dem deutschen Großgrundbesitze und 
46 den drei Volkskurien an, von denen 18 Fortschrittler, 12 Freialldeutsche, 
10 deutsche Volksparteiler sind, ferner 2 Jungdeutsche, 2 Agrarier, 1 Christlich- 
sozialer, 1 Sozialdemokrat. Von den 89 Tschechen sind 25 Katholisch- 
nationale, 17 Jungtschechen, 13 Agrarier, 11 Konservativ-Feudale, 8 Alt- 
tschechen, 5 Fortschrittler, 5 Sozialdemokraten und 5 Vertreter der Mittel- 
partei des Großgrundbesitzes. — Besonders bemerkt wird die Niederlage 
der Jungtschechen, die bisher die stärkste Partei waren. 
Dezember. (Cisleithanien.) Herrenhaus. Wahlreform. 
11. Dezember. Die Wahlreformkommission beschließt trotz der ent- 
schiedenen Gegenerklärung des Ministerpräsidenten das Pluralitätswahlrecht 
für alle Wähler, die über 35 Jahre alt sind, sowie die Festsetzung einer 
Maximalzahl der Herrenhausmitglieder. Diese nimmt Frhr. v. Beck an. 
Am 17. Dezember berichtet die Kommission über die Verhandlungen 
und betont, die Mehrheit der Kommission habe vielfach Opfer an ihrer 
Ueberzeugung gebracht, um nicht die Vorlagen ablehnen oder vereiteln zu 
müssen. Sie sei jedoch überzeugt, daß die unveränderte Annahme der Vor- 
lagen unheilvolle Konsequenzen nach sich ziehen würde. Um diesen Ge- 
fahren zu begegnen, sei es notwendig, das allgemeine Stimmrecht durch 
die Alterspluralität zu mildern, der kein Beigeschmack des Klassengegen- 
satzes anhafte. Hinsichtlich des Numerus clausus begrüßt die Kommission 
die Bereitwilligkeit der Regierung, darauf prinzipiell einzugehen. Sie be- 
harrt jedoch einstimmig darauf, daß diese Frage nicht durch ein Spezial- 
gesetz, sondern durch eine Abänderung der Wahlreformvorlage geregelt 
werde. Der Bericht schließt mit der Hoffnung, daß das Abgeordnetenhaus 
die vorgeschlagenen Abänderungen beraten und die Wahlreform rechtzeitig 
zum Abschluß bringen werde, widrigenfalls schon jetzt ausgesprochen werden 
müsse, daß es dann nicht das Herrenhaus sei, an dessen Widerstand das 
Zustandekommen des Reformwerks scheitern werde. 
Am 20. bringt die Regierung eine „numerus clausus-Vorlage“ ein, 
die die Höchstzahl der Herrenhausmitglieder auf Lebenszeit auf 170 Mit- 
glieder, die Mindestzahl auf 150 festsetzt. Am 21. genehmigt sie das Haus 
mit der Bestimmung, daß das Grundgesetz über die Aenderung der Reichs- 
vertretung nur gleichzeitig mit der vom Abgeordnetenhause erledigten 
numerus clausus-Vorlage erledigt werden dürfe. 
Hierauf beginnt die Generaldebatte über die Wahlreform. Graf
	        
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