Frankreich. (März 17.—22.) 313
blikaner, die hier vor Ihnen stehen, einander genähert hat. Wir sind
sicher, daß alle guten Bürger sich unseren Gedanken anschließen und un-
serem Appell folgen werden. Nach längerer Debatte wird der Regierung
mit 299 gegen 199 Stimmen das Vertrauen ausgesprochen. Die Ma-
jorität besteht aus den sozialistisch Radikalen, den rein Radikalen und ehe-
maligen Dissidenten, ferner aus 30 Sozialisten, 15 Republikanern der
Linken, 2 gemäßigten Republikanern und 1 Nationalisten, die Minderheit
aus der Rechten, den Nationalisten und den meisten gemäßigten Republi-
kanern. 50 Deputierte enthalten sich der Abstimmung.
März. April. Großer Bergarbeiterstreik.
Mitte März bricht im nördlichen Kohlenrevier ein großer Streik
aus, gegen 50000 Bergarbeiter streiken. Der Ausstand ist nicht veranlaßt
durch das Grubenunglück, sondern schon länger vorbereitet. Die Arbeiter
fordern 7,18 Francs Tagelohn, die Unternehmer wollen nur 6,75 bewil-
ligen. Die Regierung sucht zu vermitteln, Clómenceau besucht selbst
Versammlungen der Ausständigen. Trotzdem kommt es zu großen Tu-
multen, bei denen Militär einschreiten muß. Ende April geht der Aus-
stand zu Ende.
17. März. Minister des Innern Clémenceau verfügt, daß
bei der Inventaraufnahme in den Kirchen künftighin die bewaff-
nete Macht nicht mehr verwendet werden soll.
20. März. (Senat.) Minister des Innern Clémenceau
sagt auf eine Anfrage über die Inventaraufnahme in den Kirchen:
Die Regierung beabsichtige selbstverständlich das Trennungsgesetz
durchzuführen und daher auch die Inventarisierung fortzusetzen. Er könne
nicht sagen, ob es dabei in irgend einem Falle zur Anwendung von Ge-
walt kommen werde; das eine aber könne er sagen, nach seiner Meinung
sei die Zählung der Leuchter in den Kirchen nicht eine Frage, die wirklich
ein Menschenleben wert sei.
22. März. (Kammer.) Debatte über die Finanzlage.
Abg. Jules Roche berechnet einen Fehlbetrag von rund 91 Millionen
Franken, der durch eine Anleihe gedeckt werden müsse, und schätzt die Er-
höhung des Budgets seit 1879 auf 1128000000 Franken und die Ver-
mehrung der Ausgaben auf Grund der von der Kammer angenommenen
Gesetze auf 509 Millionen Franken. Er beziffert die Gesamtsteueraufkommen,
sowohl von den Departements wie von den Gemeinden auf nahezu 5 Mil-
liarden, die Gesamtschuld auf 44 Milliarden Franken. Roche beklagt die
ungenügende Amortisation, indem er auf das Beispiel Englands hinweist,
es sei notwendig, die Finanzlage durch Einschränkung der Ausgaben zu
bessern. Dazu sei es aber notwendig, in der Politik eine Aenderung ein-
treten zu lassen. (Beifall.) Finanzminister Poincaré erkennt die Angaben
des Vorredners über die Steigerung der Ausgaben als richtig an, betont
aber, daß die finanzielle Lage das Werk aller sei, und daß man ihren
Ernst nicht übertreiben dürfe. Gebieterische Pflicht des Finanzministers
sei es, sich allen zu weit gehenden Ansprüchen des Parlaments und der
Regierung in bezug auf neue Ausgaben zu widersetzen. Durch die An-
nahme verschiedener Gesetze hätten sich die Ausgaben wiederum vermehrt,
die Einnahmen aber verringert. Poincaré schätzt das Defizit auf 57 Mil-
lionen Franken, das durch Ausgabe von Obligationen mit siebenjähriger
Umlaufszeit gedeckt werden müsse.